OLG Karlsruhe: Streitwert bei Scraping beträgt 5.000 EUR zzgl. Schadensersatzbetrag / 2023

veröffentlicht am 14. Juli 2023

Streitwert Scraping
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.07.2023, Az. 10 W 5/23

§ 68 Abs. 1 GKG, § 48 Abs. 1 S .1 GKG, § 3 ZPO

Das OLG Karlsruhe hat in einem Fall rechtswidrigen Scrapings entschieden, dass der Streitwert für
1) einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.000 EUR genau 1.000 EUR beträgt,
2) die Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach 500 EUR beträgt,
3) die Unterlassung des Scrapings – wenn sich der Unterlassungsausspruch nicht in den unmittelbaren Folgen einer einzigen Zuwiderhandlung in der Vergangenheit erschöpft, sondern auf die dauerhafte Abwehr einer unbestimmten Vielzahl künftiger Wiederholungen des klägerseits beanstandeten Verhaltens der Beklagten gerichtet ist – 4.000 EUR beträgt und für
4) die Auskunft im Zusammenhang mit Leistungs- und Unterlassungsanträgen wegen (behaupteter) Rechtsverletzungen durch die Betreiber von sozialen Netzwerken 500 EUR beträgt.
Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Karlsruhe

Beschluss

Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Landgerichts Baden-Baden vom 09.03.2023, Az. 3 O 236/22 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen sogenannten „Scrapings“ seiner personenbezogenen Daten aus dem Datenbestand des von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerks „Facebook“ auf immaterielle Entschädigung, Feststellung weiterer Schadensersatzpflicht, Unterlassung und Auskunft in Anspruch.

Vor dem Landgericht hat er folgende Anträge gestellt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite immateriellen Schadensersatz in angemessener Höhe zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 1.000,00 Euro nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden.

3. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 Euro, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,

a) personenbezogene Daten der Klägerseite, namentlich Telefonnummer, FacebookID, Familiennamen, Vornamen, Geschlecht, Bundesland, Land, Stadt, Beziehungsstatus unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern,

b) die Telefonnummer der Klägerseite auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf „privat“ noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der Facebook-Messenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird.

4. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerseite Auskunft über die Klägerseite betreffende personenbezogene Daten, welche die Beklagte verarbeitet, zu erteilen, namentlich welche Daten durch welche Empfänger zu welchem Zeitpunkt bei der Beklagten durch Scraping oder durch Anwendung des Kontaktimporttools erlangt werden konnten.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 Euro zu zahlen zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. März 2023 abgewiesen – das Berufungsverfahren ist unter dem Aktenzeichen 10 U 8/23 vor dem Senat anhängig – und den Streitwert mit Beschluss vom ebenfalls 9. März 2023 auf 6.000 Euro festgesetzt. Die einzelnen Streitwerte hat das Landgericht mit 1.000 Euro für den Klageantrag Ziffer 1, jeweils 250 Euro für die Klageanträge Ziffer 2 und Ziffer 4 sowie 4.500 Euro für den Klageantrag Ziffer 3 bemessen.

Gegen diesen Beschluss hat der Klägervertreter im eigenen Namen mit Schriftsatz vom 23. März 2023 Beschwerde mit dem Ziel erhoben, den Streitwert auf mindestens 11.000 Euro heraufzusetzen. Der Feststellungsanspruch (Klageantrag Ziffer 2) sei mit mindestens 1.000 Euro anzusetzen, der Unterlassungsanspruch (Klageantrag Ziffer 3) mit mindestens 5.000 Euro und der Auskunftsanspruch (Klageantrag Ziffer 4) mit mindestens 4.000 Euro.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 14. April 2023 nicht abgeholfen.

II.
Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG i. V. m. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässige Beschwerde des Klägervertreters ist nicht begründet. Eine Erhöhung des vom Landgericht auf 6.000 Euro festgesetzten Streitwerts ist nicht veranlasst.

1. Der Streitwert für den auf 1.000 Euro bezifferten Klageantrag Ziffer 1 wurde vom Landgericht mit eben diesen 1.000 Euro zutreffend bemessen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 3.1.2023, 4 AR 4/22). Dies wird von der Beschwerde auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Soweit der Kläger mit dem Klageantrag Ziffer 2 zudem die Feststellung der Pflicht zum Ersatz weiterer Schäden begehrt hat, ist für den Streitwert von dem an einem entsprechenden Leistungsantrag orientierten wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der beantragten Feststellung auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.2.2022, IV ZR 282/21, NJOZ 2022, 600), das sich auf die ab Klageeinreichung mutmaßlich entstehenden weiteren Schäden bezieht (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 22.6.2016, 5 W 318/16). Nach freiem Ermessen des Senats (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO) ist dieses Interesse mit 500 Euro angemessen bewertet (ebenso OLG Stuttgart, Beschluss vom 3.1.2023, 4 AR 4/22; siehe auch OLG Dresden, Beschluss vom 28.9.2022, 17 AR 36/22: 500 bis 1.000 Euro).

3. Mit den unter dem Klageantrag Ziffer 3 geltend gemachten Unterlassungsansprüchen begehrt der Kläger der Sache nach im Wesentlichen, dass sich ein dem bereits geschehenen gleichgelagerter Scraping-Vorfall nicht wiederholt. Abgesehen von den unterschiedlichen Zeiträumen des den Klageanträgen Ziff. 1 und 2 zugrundeliegenden Geschehens in der Vergangenheit und den von Klageantrag Ziffer 3 erfassten Wiederholungen in der Zukunft sind keine Umstände erkennbar, die eine unterschiedliche wirtschaftliche Bewertung rechtfertigen könnten. Dass ein zukünftiger gleichgelagerter Vorfall eine signifikant größere wirtschaftliche Bedeutung entfalten könnte als das im Verhältnis der Parteien mit insgesamt 1.500 Euro für die Klageanträge 1 und 2 zu bemessende Interesse, hat der Beschwerdeführer nicht aufgezeigt. Daher bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, das Unterlassungsbegehren mit einem erheblich höheren wirtschaftlichen Wert zu bewerten. Diese besondere Rechtfertigung kann nicht im Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von 5.000 Euro gefunden werden (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 3.1.2023, 4 AR 4/22). Denn dieser kann schon nach seinem Wortlaut nur zum Tragen kommen, wenn genügende Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2020, III ZR 60/20) Solche finden sich aber in den Feststellungen zum Wert der Klageanträge Ziffer 1 und 2. Von diesen ausgehend ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich der begehrte Unterlassungsausspruch nicht in den unmittelbaren Folgen einer einzigen Zuwiderhandlung in der Vergangenheit erschöpft, sondern auf die dauerhafte Abwehr einer unbestimmten Vielzahl künftiger Wiederholungen des klägerseits beanstandeten Verhaltens der Beklagten gerichtet ist; auch können die wirtschaftliche Bedeutung der Scraping-Vorfälle für die Beklagte insgesamt sowie deren wirtschaftliche Verhältnisse bei der Bestimmung des Streitwerts im Wege einer Gesamtabwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls mit berücksichtigt werden (vgl. auch LG Essen, Urteil vom 10.11.2022, 6 O 111/22; LG Ellwangen, Urteil vom 25.1.2023, 2 O 198/22; LG Aachen, Urteil vom 10.2.2023, 8 O 177/22; LG Osnabrück, Urteil vom 3.3.2023, 11 O 834/22; LG Berlin, Urteil vom 7.3.2023, 13 O 79/22). Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für angemessen, den mit dem Klageantrag Ziffer 3 gestellten Unterlassungsanträgen einen Streitwert von insgesamt 4.000 Euro zukommen zu lassen (ebenso LG Köln, Urteil vom 31.5.2023, 28 O 138/22; LG Konstanz, Urteil vom 28.4.2023, 6 O 92/22; LG Detmold, Urteil vom 28.4.2023, 2 O 184/22; siehe auch OLG Hamm, Beschluss vom 17.1.2023, 7 W 3/23: 2.000 Euro; OLG Dresden, Beschluss vom 28.9.2022, 17 AR 36/22: 3.000 bis 5.000 Euro).

4. Der Wert des mit dem Klageantrag Ziffer 4 geltend gemachten Auskunftsanspruchs bestimmt sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung, die diesem Anspruch zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2015, IV ZB 21/15). Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 28.1.2021, III ZR 162/20) und des Senats (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.6.2023, 10 U 24/22) zum Wert eines im Wege eines Annexantrags geltend gemachten Auskunftsanspruchs im Zusammenhang mit Leistungs- und Unterlassungsanträgen wegen (behaupteter) Rechtsverletzungen durch die Betreiber von sozialen Netzwerken erscheint dieser Wert mit nicht mehr als 500 Euro angemessen eingeordnet (ebenso etwa LG Bonn, Urteil vom 7.6.2023, 13 O 126/22; LG Bamberg, Urteil vom 6.6.2023, 42 O 782/22; LG Regensburg, Urteil vom 11.5.2023, 72 O 1413/22; LG Stuttgart, Urteil vom 26.1.2023, 53 O 95/22; das OLG Hamm, Beschluss vom 17.1.2023, 7 W 3/23, geht sogar von einem Wert von lediglich 250 Euro aus, während das OLG Dresden, Beschluss vom 28.9.2022, 17 AR 36/22, eine Spanne zwischen 1.000 Euro und 5.000 Euro nennt, die dem Senat jedoch übersetzt erscheint).

5. Der Klageantrag Ziffer 5 erhöht den Streitwert nicht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 4 Abs. 1 ZPO).

6. In der Summe (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 5 ZPO) hat das Landgericht den Streitwert damit in im Beschwerdeverfahren nicht zu beanstandender Weise auf 6.000 Euro festgesetzt (im Ergebnis ebenso LG Darmstadt, Urteil vom 19.6.2023, 27 O 194/22; LG Konstanz, Urteil vom 28.4.2023, 6 O 98/22; LG Detmold, Urteil vom 28.3.2023, 2 O 85/22; LG Verden, Urteil vom 16.2.2023, 2 O 51/22; LG Heilbronn, Urteil vom 9.2.2023, 2 O 125/22; LG Paderborn, Urteil vom 19.12.2022, 3 O 99/22).

Eine höhe Festsetzung des Streitwerts durch den Senat scheidet jedenfalls aus.

III.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

I