OLG Köln, Beschluss vom 24.03.2011, Az. 6 W 42/11
§ 97 Abs. 2 UrhG; § 138 Abs. 4 ZPO
In einem Beschluss des OLG Köln über eine Beschwerde wegen versagter Prozesskostenhilfe in einem Filesharing-Prozess hat der 6. Zivilsenat diverse viel beachtete Hinweise erteilt, darunter diesen: „Soweit die Beklagte als Störer in Anspruch genommen wird, hat das Landgericht zunächst es zu Unrecht als unbeachtlich angesehen, dass die Beklagte die ordnungsgemäße Ermittlung der IP-Adresse bestritten hat. Da insoweit ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässig ist, bedurfte es des Vortrags konkreter Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Ermittlungen nicht.“ Das Kollektiv der Filesharer hielt ob solcher ungewohnter Obszönitäten die Luft an. Der Kollege Dosch berichtete, Filesharer könnten endlich aufatmen, während sich der Kollege Lampmann mit der sinngemäßen Empfehlung beeilte, das Volk der Filesharer möge wieder ausatmen: Der Beschluss des Oberlandesgerichts habe nicht den Filesharer entlastet, sondern eine (angeblich) „gänzlich Unbeteiligte“, hier die verwitwete Anschlussinhaberin, welche in klassischer Manier kaum etwas wußte, außer, dass der Verursacher des Tumults bereits im Jenseits weilte. Was wir davon halten? Wenn schon wissenschaftlich gesichert ist, dass auch gewöhnliche Bürodrucker schon mal als Filesharer in P2P-Netzwerken auftauchen können (vgl. hier, interessant aber auch hier), mag dem (all-) gemeinen Filesharer der reflexhafte Einwand des fehlerhaften Systems nachgesehen werden. Und was will man als verteidigender Rechtsanwalt machen, wenn der Mandant erzürnt versichert, er habe den Porno um 04.32 Uhr am Morgen überhaupt nicht herunterladen können, da er als Strohwitwer in der Zeit von 03:00 – 04:56 Uhr zunächst sein WLAN-Router vor Wut aus dem Fenster geschmissen, seinen nutzlos gewordenen PC heruntergefahren und sich sodann einen Meter Kölsch am letzten offenen Kiosk der Kölner Südstadt verabreicht habe? Er muss ihm bis auf Weiteres glauben und die Ermittlung der IP-Adresse anfechten. Den bösartigen Filesharer gibt es nämlich ebenso wenig wie den bösen Abmahner oder den bösen Abmahnanwalt. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Köln
Beschluss
In dem Rechtsstreit
…
gegen
…
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln am 24.3.2011 unter Mitwirkung seiner Mitglieder… beschlossen:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 21.01.2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass Prozesskostenhilfe nicht wegen fehlender Erfolgsaussichten der Verteidigung gegen die Klage versagt werden darf.
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Verwertungsrechte für ein Computerspiel inne; sie nimmt die Beklagte wegen Verletzung dieser Rechte auf Unterlassung, Schadensersatz und Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch.
Die Klägerin behauptet, die von ihr mit der Erfassung von Urheberrechtsverstößen beauftragte … AG habe festgestellt, dass das zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlichte Computerspiel am 04.11.2009 um 7:48:03 Uhr von der IP-Adresse … im Internet öffentlich zugänglich gemacht worden sei. Diese Adresse sei zu dem fraglichen Zeitpunkt der Beklagten zugeordnet gewesen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen das Computerspiel ohne Zustimmung der Klägerin im Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen bzw. Dritten dieses zu ermöglichen, sowie an die Klägerin 651,80 EUR an Kosten einer am 3.3.2010 ausgesprochenen Abmahnung, berechnet nach einem Streitwert in Höhe von 10.000,00 EUR, und 510,00 EUR als fiktive Lizenzgebühr zu zahlen.
Für ihre Verteidigung hiergegen hat die Beklagte Prozess kostenhilfe beantragt und behauptet, sie selbst habe das Computerspiel nicht im Internet angeboten; ihr Ehemann habe ebenfalls Zugang zu ihrem Internetanschluss gehabt, sie habe den hier in Rede stehenden Vorwurf mit diesem vor seinem Versterben am 21.04.2010 nicht mehr erörtern können. Sie bestreite, dass die Ermittlung der IP-Adresse ordnungsgemäß erfolgt sei.
Das Landgericht hat den Antrag vollständig zurückgewiesen, weil die Rechtsverteidigung der Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Beklagten.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
1.
Der Klageantrag zu 1 (Unterlassungsantrag) ist in seiner derzeitigen Fassung unbestimmt. Die Klägerin zielt mit dem Antrag offensichtlich mit der ersten Variante auf eine Inanspruchnahme der Klägerin als Täterin und mit der zweiten Variante als Störerin ab. Dabei geht die Klägerin zutreffend davon aus, dass der Antrag, ein Werk im Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die konkrete Verletzungsform verfehlt, wenn die in Anspruch genommene Person als Störer haftet (vgl. BGH GRUR 2010, 633 Tz. 35 – Sommer unseres Lebens). Das bedeutet aber nicht, dass eine alternative Fassung des Antrags zulässig wäre. Vielmehr muss sich, wenn der Beklagte als Störer in Anspruch genommen wird, der Antrag darauf beschränken, es zu unterlassen, außenstehenden Dritten Rechtsverletzungen der genannten Art in der die Störerhaftung begründenden Weise zu ermöglichen (vgl. BGH, a.a.O. Tz. 36, dort zur Haftung wegen einer unzureichenden Sicherung eines WLAN-Anschlusses). Dabei dürfte die Formulierung des Bundesgerichtshofs, der Kläger müsse seinen Antrag „beschränken“, nicht dahin zu verstehen sein, dass der auf eine Störerhaftung abzielende Antrag als Minus in dem auf die Untersagung einer Begehung als Täter gerichteten Antrag enthalten ist. Denn zum einen hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass eine Anpassung der Klageantrags erforderlich sei, wessen es bei einem bloßen Minus regelmäßig nicht bedarf, zum anderen unterscheidet sich nicht nur der Antrag, sondern auch der die Haftung begründende Lebenssachverhalt, so dass es naheliegt, von zwei unterschiedlichen Streitgegenständen auszugehen. Insoweit dürften auch die Erwägungen zur (ausnahmsweise) zulässigen alternativen Klagebegründung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sein, so dass die Anträge nur als Haupt- und Hilfsantrag zulässig wären. Jedenfalls sind die damit zusammenhängenden Fragen noch weitgehend ungeklärt, so dass soweit die Klägerin an diesem Antrag festhält – der Beklagten Prozesskostenhilfe nicht versagt werden kann. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren dient nicht dazu, zweifelhafte Rechtsfragen vorab zu entscheiden (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 114 Rz. 21 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
2.
Auch soweit zu unterstellen sein sollte, dass die Klägerin an ihrem Unterlassungsantrag in der derzeitigen Fassung nicht festhält, kann Prozesskostenhilfe nicht mangels Erfolgsaussichten verweigert werden.
a)
Die Verteidigung der Beklagten gegen eine Inanspruchnahme als Täter ist – wie sich bereits aus dem angefochtenen Beschluss ergibt – nicht ohne Erfolgsaussicht. Die Klägerin hat dafür, dass die Beklagte selbst die Urheberrechtsverletzung begangen hat, keinen Beweis angeboten. Die Klägerin kann sich insofern aber auch nicht auf Beweiserleichterungen stützen. Denn die tatsächliche Vermutung, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für eine von diesem Anschluss aus begangene Rechtsverletzung verantwortlich ist (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 12), ist entkräftet. Hierzu genügt es, dass die ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung, auf die die Vermutung gegründet ist, abweichenden Geschehensablaufs feststeht (vgl. Laumen in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Hdb. der Beweislast, Grundlagen, § 12 Rz. 34 zum Anscheinsbeweis und § 14 Rdn. 16 zur tatsächlichen Vermutung, m.w.N.). So liegt es hier. Es ist unstreitig, dass der Ehemann der Beklagten ebenfalls Zugriff auf den Internetanschluss hatte, und es ist daher ernsthaft möglich, dass dieser das Computerspiel im Internet öffentlich zugänglich gemacht hat.
Daher ist die Klage hinsichtlich der ersten Variante in dem Unterlassungsantrag in seiner derzeitigen Fassung unschlüssig, so dass zur Verteidigung gegen einen entsprechenden (Haupt-)Antrag Prozesskostenhilfe nicht mangels Erfolgsaussichten verweigert werden kann. Zudem besteht eine Schadensersatzpflicht der Beklagten unter diesen Umständen nicht (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 17), so dass auch insoweit die Rechtsverteidigung Aussicht auf Erfolg hat.
b)
aa)
Soweit die Beklagte als Störer in Anspruch genommen wird, hat das Landgericht zunächst es zu Unrecht als unbeachtlich angesehen, dass die Beklagte die ordnungsgemäße Ermittlung der IP-Adresse bestritten hat. Da insoweit ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässig ist, bedurfte es des Vortrags konkreter Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Ermittlungen nicht. Auch der Umstand, dass diese Software Gegenstand der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs war und dort nicht beanstandet worden ist, führt nicht zur Unbeachtlichkeit des Bestreitens. Die Parteien sind nicht an die tatsächlichen Feststellungen aus einem anderen Verfahren gebunden. Zudem hat der Bundesgerichtshof es lediglich als nicht rechtsfehlerhaft bezeichnet, dass das Berufungsgericht auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen hat, nachdem dieses das pauschale Bestreiten des Beklagten als zu unbestimmt angesehen und dieser seinen Vortrag in zweiter Instanz nicht weiter substantiiert hatte. Jedenfalls ohne Kenntnis der Akten kann daher auch keine derart sichere Beweisprognose abgegeben werden, dass hierauf die Zurück-weisung des Prozesskostenhilfeantrags gestützt werden könnte. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch die Feststellungen in dem Anordnungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG nicht präjudiziell sind. Dies folgt schon daraus, dass die dortigen Feststellungen in der Regel allein auf den Angaben des Rechteinhabers beruhen, während der (angebliche) Verletzer an diesem Verfahren vor Erlass der Gestattungsanordnung nicht beteiligt werden kann.
bb)
Aber auch wenn man ohne Beweisaufnahme davon ausgehen könnte, dass die Rechtsverletzung vom Internetanschluss der Beklagten aus begangen worden ist, könnte der Beklagten Prozesskostenhilfe nicht versagt werden. Denn auch die Frage, ob die Beklagte als Störer haftet, ist nicht hinreichend geklärt.
Zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, dass nach der Rechtsprechung des Senats den Inhaber eines Internetanschlusses Aufklärungs- und Belehrungspflichten auch gegenüber erwachsenen Hausgenossen treffen können, denen er die Nutzung des Anschlusses gestattet (vgl. Senat, GRUR-RR 2010, 173 sowie Beschluss vom 9.9.2010 – 6 W 114/10, 115/10). Ob dies auch auf den Ehegatten zutrifft, ist indes umstritten, und auch vom Senat noch nicht entschieden. Insofern ist zu bedenken, dass ein (ehelicher) Haushalt in der Regel nur über einen einzigen Internetanschluss verfügt, den beide Ehegatten auch dann als gemeinsamen begreifen werden, wenn nur ein Ehepartner Vertragspartner des Internetproviders ist. Insofern gelten die Erwägungen, die zur Einordnung des Abschlusses eines Telefondienstvertrages als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs im Sinne des § 1357 BGB geführt haben (vgl. BGH NJW 2004, 1593), entsprechend. Ob sich damit die Annahme gegenseitiger Kontrollpflichten vereinbaren lässt, ist zumindest zweifelhaft und kann nicht im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend geklärt werden.
3.
Soweit die Klägerin Ersatz von Abmahnkosten verlangt, kann nach alledem Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Klage ebenfalls nicht versagt werden. Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte überhaupt haftet, ist zudem bisher nicht höchstrichterlich geklärt, ob der Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten in derartigen Fällen gemäß § 97a Abs. 2 UrhG auf 100 EUR begrenzt ist (so etwa Hoeren, CR 2009, 378; Faustmann/Ramsperger, MMR 2010, 662; Malkus, MMR 2010, 382 sowie die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 101/10 vom 12.5.2010).