OLG Köln, Urteil vom 20.04.2012, Az. 6 W 23/12
§ 937 ZPO, § 943 ZPO; § 5 UWG
Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Briefkopf einer Rechtsanwaltssozietät irreführend ist, wenn auf diesem unter „Fachanwälte für“ eine Aufzählung zahlreicher Fachgebiete zu finden ist. Auf Grund dieser Angaben könne der Adressat den unzutreffenden Eindruck gewinnen, alle aufgezählten Rechtsanwälte seien berechtigt, zumindest einen der aufgezählten Fachanwaltstitel zu führen, da eine konkrete Zuordnung nicht erfolge. Ein anschließender Hinweis auf den Internetauftritt der Kanzlei genüge dafür nicht, auch wenn er ausreichend deutlich gegeben werde. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Köln
Urteil
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Köln – 81 O 7/12 – vom 26.01.2012 abgeändert und im Wege der
einstweiligen Verfügung
angeordnet:
1.
Die Antragsgegnerin hat es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr den aus der nachfolgenden Wiedergabe der Anlage FN 3 ersichtlichen Briefkopf zu verwenden und hierbei nicht deutlich zu machen, welchem Anwalt welche Fachanwaltschaft zuzuordnen ist, wie in der rechten Spalte des Briefkopfes ohne Klarstellung auf Vorder- oder Rückseite der Anlage FN 3 geschehen.
(Originalentscheidung enthält Briefkopf)
2.
Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung gemäß Nr. 1 Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
3.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gründe
I.
Die Verfahrensbeteiligten sind Rechtsanwaltsgesellschaften. Die Antragstellerin sieht den vorstehend wiedergegebenen Briefkopf der Antragsgegnerin mit der Angabe „Fachanwälte für“ als irreführend an, weil er den Eindruck einer Sozietät von Spezialisten für nahezu jedes Fachgebiet erwecke, ohne die jeweiligen Fachanwälte hinreichend deutlich zu bezeichnen; unstreitig sind nicht alle Anwälte der Antragsgegnerin (am Kanzleisitz L. beispielsweise nur wenig mehr als die Hälfte der Anwälte) berechtigt, einen (oder mehrere) Fachanwaltstitel zu führen. Mit ihrer sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren vom Landgericht zurückgewiesenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiter. Die zuvor abgemahnte Antragsgegnerin, die vor Anbringung des Verfügungsantrags negative Feststellungsklage bei dem Landgericht G. eingereicht hatte, rügt die Unzuständigkeit der Kölner Gerichte und verteidigt in der Sache den Zurückweisungsbeschluss.
II.
Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1.
Die (nicht durch § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO ausgeschlossene) Unzuständigkeitsrüge der Antrags- und Beschwerdegegnerin geht fehl. Für den Erlass einstweiliger Verfügungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig (§ 937 Abs. 1 ZPO). Zwischen mehreren Gerichtsständen des deliktischen Begehungsortes (§ 32 ZPO) hat der Antragsteller die Wahl; erst wenn die Hauptsache bei einem bestimmten Gericht anhängig geworden ist, bleibt dieses auch für das Verfügungsverfahren ausschließlich zuständig (§ 943 Abs. 2 ZPO). Hauptsache in diesem Sinn ist bei interessengerechter Auslegung aber nur die vom Gläubiger erhobene Leistungsklage und nicht eine negative Feststellungsklage des durch die Abmahnung gewarnten Schuldners (vgl. Steinbeck, NJW 2007, 1783 [1784]; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl., Kap. 54 Rn. 3 m.w.N.), denn dieser hätte es sonst in der Hand, durch sofortige Erhebung der Feststellungsklage den ihm genehmen Gerichtsstand festzulegen und dem Gläubiger aufzuzwingen (vgl. BGH, GRUR 1994, 846 [848] = WRP 1994, 810 – Parallelverfahren II; GRUR 2011, 828 [Rn. 15] = WRP 2011, 1160 – Bananabay II).
Soweit das Landgericht Bonn (Urteil vom 13.12.2006 – 1 O 360/06, zitiert im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 16.04.2012) einen Gläubiger nicht für schutzwürdig gehalten hat, der nach Widerspruch gegen eine Beschlussverfügung bei anderweitig anhängiger negativer Feststellungsklage keine Leistungsklage am Gerichtsstand seiner Wahl erhoben hatte, ist dem zumindest für die Konstellation des Streitfalles nicht zu folgen; den Gläubiger schon während des Verfügungsverfahrens in eine zusätzliche Leistungsklage zu treiben, widerspräche hier gerade dem hinter den Zuständigkeitsregeln stehenden Gedanken der Prozessökonomie (vgl. Steinbeck, a.a.O. [1785]) und könnte überdies den Vorwurf der missbräuchlichen Mehrfachverfolgung begründen (BGHZ 144, 165 [171] = GRUR 2000, 1089 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH, GRUR 2002, 715 [716] = WRP 2002, 977 – Scanner-Werbung; vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 183 = WRP 2009, 863 – Hauptsacheklage nach Widerspruch m.w.N.).
Da die Verfahrensbeteiligten – wie unstreitig und senatsbekannt ist – jedenfalls auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes im Bezirk des Land- und Oberlandesgerichts Köln in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen, so dass eine Beeinträchtigung der Antragstellerin durch irreführend gestaltete Briefbögen der Antragsgegnerin ernsthaft droht und Begehungsgefahr insoweit auch hier besteht, sind die hiesigen Gerichte für die Beurteilung des Verfügungsantrags zuständig.
2.
Der Verfügungsgrund der Dringlichkeit wird vermutet (§ 12 Abs. 2 UWG). Gegenteilige Umstände sind weder dargetan noch ersichtlich.
3.
Der – als Wettbewerberin wenigstens auf einem Teilgebiet der anwaltlichen Tätigkeit aktiv legitimierten – Antragstellerin steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch zu, denn der angegriffene Briefkopf, dessen aus der Urteilsformel ersichtliche konkrete Gesamtgestaltung Gegenstand des Unterlassungsbegehrens ist, enthält zur Täuschung geeignete Angaben über Eigenschaften der damit werbenden Antragsgegnerin (§§ 3 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1 UWG).
Auszugehen ist für die Beurteilung der Irreführungseignung nicht allein vom Verständnis solcher Adressaten von Schreiben der Antragsgegnerin, die mit Fachanwaltsbezeichnungen und deren berechtigter Benutzung in besonderem Maße vertraut sind. Denn selbst wenn – entsprechend dem nach eigenen Angaben bestehenden Tätigkeitsschwerpunkt der Antragstellerin und dessen Berührung mit der werbenden Tätigkeit der Antragsgegnerin – nur auf das Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes abgestellt wird, kommen als potentielle Mandanten und Werbeadressaten auch Private und Kleingewerbetreibende ohne juristische Vorbildung in Betracht, die (beispielsweise nach Erhalt einer Abmahnung) anwaltlichen Rat suchen und in dieser Lage geneigt sein können, sich an eine Kanzlei zu wenden, deren Briefbogen ihnen zuvor in anderen (beispielsweise familien- oder mietrechtlichen) Angelegenheiten begegnet war. Aus der – vom Senat auf Grund seiner Erfahrung in Wettbewerbssachen unschwer nachzuvollziehenden – Sicht solcher Adressaten, die den streitbefangenen Briefkopf mit normaler Aufmerksamkeit, also weder flüchtig (vgl. BGH, GRUR 2007, 807 = WRP 2007, 955 [Rn. 11] – Fachanwälte) noch mit erhöhter Sachkunde und Konzentration zur Kenntnis nehmen, kann eine durch seine Gestaltung bewirkte Irreführung nicht verneint werden.
Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Begriff „Fachanwälte“ wie in dem unter diesem Stichwort (a.a.O.) veröffentlichen Fall des Bundesgerichtshofs in der Kurzbezeichnung einer Anwaltssozietät verwendet wird. Maßgebend sind vielmehr die Umstände des Kanzleiauftritts im Einzelfall. Diese dürfen keinen Zweifel an der jeweiligen Qualifikation der einzelnen benannten Berufsträger aufkommen lassen, was nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs (a.a.O. [Rn. 14]) insbesondere auch dann zu beachten ist, wenn die Bezeichnung „Fachanwälte“ mit oder ohne Angabe des Gebiets, auf das sich diese Qualifikation bezieht, außerhalb einer Kurzbezeichnung der Sozietät verwendet wird.
Im Streitfall enthält die rechte Spalte des Briefkopfes eine Vielzahl von Angaben, die nur zum Teil durch Fettdruck hervorgehoben sind. Nach den Umständen besteht die naheliegende Möglichkeit, dass der Leser nach den Namen der Kanzleiorte und der dort tätigen Rechtsanwälte nur noch die fettgedruckte Zeile „Fachanwälte für“ und die folgende Aufzählung zahlreicher Fachgebiete wahrnimmt und auf Grund dieser Angaben den unzutreffenden Eindruck gewinnt, alle aufgezählten Rechtsanwälte seien berechtigt, zumindest einen der aufgezählten Fachanwaltstitel zu führen. Eine weitergehende, den Namen der Anwälte oder den Fachgebieten hinreichend deutlich zugeordnete Aufklärung erfolgt nicht. Der anschließende Hinweis auf den Internetauftritt der Kanzlei kann dafür nicht genügen. Unsicher ist bereits, ob er auf Grund seiner Position im unteren Teil der Spalte vom Leser des Briefkopfes überhaupt wahrgenommen wird und ob die erforderliche Aufklärung auf der angegebenen Startseite des Internetauftritts entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin dann auch wirklich erfolgt. Unabhängig davon reicht es zur Aufklärung der vorangegangenen zumindest mehrdeutigen Angaben, deren missverständlichen Gehalt die Antragsgegnerin gegen sich gelten lassen muss (vgl. Köhler / Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 5 Rn. 2.98; 2.111 f.), auch nicht aus, dass der Leser des Briefkopfes erst nach Aufsuchen der Internetseite der Antragsgegnerin weitere für seine geschäftliche Entscheidung notwendige Informationen erhält, weil die Werbung zu diesem Zeitpunkt bereits eine Anlockwirkung entfaltet hat, der das Irreführungsverbot ebenfalls entgegenwirken will (vgl. Köhler / Bornkamm, a.a.O., Rn. 2.193).
Soweit die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, europäische Richtlinien gestatteten den Verweis auf weitergehende Informationen im Internet sogar dann, wenn eine gedruckt vorliegende Werbung für sich genommen zur Täuschung geeignete Angaben enthält, ist sie darauf in ihrem Schriftsatz vom 16.04.2012 nicht zurückgekommen; eine derartige Regelung des Gemeinschaftsrechts ist auch nicht ersichtlich. Erst recht kann keine Rede davon sein, dass eine hinreichend deutliche Zuordnung der von den Rechtsanwälten der Antragsgegnerin berechtigt geführten Fachanwaltsbezeichnungen schon auf dem Briefbogen unmöglich oder bei abschließender Interessenabwägung und Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. Köhler / Bornkamm, a.a.O., Rn. 2.197 ff.) unzumutbar wäre. Die von der Antragstellerin beispielhaft vorgelegten Briefbögen anderer Kanzleien belegen zur Genüge die Praktikabilität entsprechender Gestaltungen.
Soweit der Briefkopf der Antragsgegnerin bisher unter berufsrechtlichen Aspekten (§ 10 BORA) nicht beanstandet worden sein mag, ist dies für die streitgegenständliche Irreführungsproblematik ohne Bedeutung.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
Vorinstanz:
LG Köln, Az. 81 O 7/12