OLG Köln: Zur Frage, wann bei Inanspruchnahme des „fliegenden Gerichtsstands“ KEINE Reistekosten geltend gemacht werden können

veröffentlicht am 30. August 2010

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Köln, Beschluss vom 16.08.2010, Az. 17 W 130/10
§ 91 ZPO
; § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO

Das OLG Köln hat entschieden, dass ein im Presse- und Medienrecht erfahrener Rechtsanwalt bei Inanspruchnahme eines auswärtigen Gerichts nach dem „fliegenden Gerichtsstand“ zur Durchsetzung eben presserechtlicher Belange sich zwar eines auswärtigen Kollegen bedienen darf, dann aber für diesen keine Reisekosten geltend machen kann. Dabei führte es auch allgemein zu den Einschränkungen aus, die für die Erstattung von Reisekosten gelten. Zitat: An der Notwendigkeit im Sinne des § 91 ZPO fehlt es aber dann, wenn schon bei Beauftragung des Anwaltes feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch auf persönlicher Basis nicht erforderlich sein wird. Davon ist etwa bei einem gewerblichen Unternehmen mit sachbearbeitender Rechtsabteilung auszugehen (BGH NJW 2003, 898, 901; NJW 2003, 2027, 2028) oder bei einem Verbraucherverband (BGH MDR 2006, 356). Eine weitere Ausnahme ist dann zu machen, wenn der an einem Drittort Klagende über derart ausreichende Fachkenntnisse verfügt, dass von ihm verlangt werden kann und muss, um dem Gebot nach einer möglichst sparsamen Prozessführung nachzukommen (Zöller/Herget, § 91 Rdn. 12 m. w. N.), einen Rechtsanwalt am Gerichtsort schriftlich unter Nutzung der modernen Kommunikationsmedien zu informieren. In einem solchen Fall sind weder fiktive Reisekosten des Klägers zu einem am Sitz des Prozessgerichts tätigen Rechtsanwalt zu erstatten noch Reisekosten für An- und Rückreise eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwaltes.Ein „zu bergender Schatz am Wegesrand“:Das Beschwerdeverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass beide Parteien in erheblichem Umfang, soweit es die Erstattung von Flugreisekosten des Anwaltes angeht, sich auf überholte Rechtsprechung und Literatur beziehen und sich darüber hinaus argumentativ ständig in großen Teilen wiederholen und zu rechtlich nicht Relevantem vortragen.“ Zum Volltext der Begründung:

Der Kläger, von Beruf Rechtsanwalt, war zur Zeit der Klageerhebung Mitglied einer Kanzlei in Berlin. Vertreten durch einen Sozius beantragte er gegen den Beklagten, der in Hamburg wohnte, bei dem über 600 km entfernten Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung, durch die diesem untersagt werden sollte, bestimmte ehrenrührige Äußerungen über den Kläger im Internet zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten.

Das OLG Köln führte nun aus: „Nach Erwirkung der einstweiligen Verfügung durch den Kläger stellte der Beklagte Antrag nach §§ 936, 926 ZPO auf Klageerhebung in der Hauptsache. Dem kam der Kläger nach und wurde auch darin von einem Berliner Sozius anwaltlich vertreten. Das Landgericht Köln ordnete Beweisaufnahme durch Vernehmung des Rechtsvertreters des Klägers, Rechtsanwalt …, und eines weiteren Sozius, Rechtsanwalt … an, nachdem bereits ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden hatte. Beide Zeugen verzichteten im Voraus auf Auslagenerstattung. Zum Beweisaufnahmetermin reisten beide mit dem Flugzeug an. Die Klage war in zwei Instanzen erfolgreich.

Zur Festsetzung für die erste Instanz angemeldet hat der Kläger u. a. die Kosten für die Anreise seines Berliner Prozessbevollmächtigten zu beiden Verhandlungsterminen nach Köln per Flugzeug nebst Kosten für die An- bzw. Abreise zum/vom Flughafen sowie Parkgebühren. Für den Termin zur Beweisaufnahme sind die Reisekosten für zwei Anwälte per Flugzeug zur Festsetzung angemeldet worden.

Die Rechtspflegerin hat die Kostenfestsetzung antragsgemäß durchgeführt. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Beklagten, das als „Erinnerung“ bezeichnet ist.

Der Kläger ist der Ansicht, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass er sein Wahlrecht wegen des Gerichtsstandes ausgeübt und Köln als Gerichtsort gewählt habe. Gegen die Anreise per Flugzeug sei nichts einzuwenden. Dass am 16.07.2008 zwei Anwälte angereist seien, erkläre sich daraus, dass anlässlich der Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt … als Zeuge Rechtsanwalt … seine Rechte als Anwalt wahrgenommen habe und umgekehrt. Deshalb seien die Reisekosten für zwei Anwälte zu erstatten. Der Höhe nach bestünden keine Bedenken, da eine Reise mit der Deutschen Bahn kaum billiger gewesen wäre.

Der Beklagte ist der Ansicht, die Klageerhebung in Köln sei rechtsmissbräuchlich. Zumindest aber habe der Kläger einen Kölner Rechtsanwalt einschalten müssen. Reisekosten für zwei Anwälte für den 16.07.2008 seien ohnehin nicht zu erstatten. Zudem seien die Flugkosten überteuert.

Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RpflG unbedenklich statthaft und zulässig.

1.
Die hiergegen erhobenen Bedenken des Klägers sind unbehelflich und liegen sämtlich neben der Sache.
Die Zwei-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 ZPO ist gewahrt. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist den Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten per Empfangsbekenntnis am 23.11.2009 zugestellt worden; die Rechtsmittelschrift ist am 04.12.2009 bei Gericht eingegangen, mithin rechtzeitig.

Dass der Beklagte sein Rechtsmittel als „Erinnerung“ bezeichnet hat, ist unschädlich. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass eine Partei das Rechtsmittel einlegen will, welches ihr nach der Rechtsordnung zusteht und ihrer Interessenlage entspricht. Die fälschliche Benennung eines Rechtsmittels ist stets unschädlich (so schon: RGZ 170, 387), etwa die Angabe „Beschwerde“ anstatt „Einspruch“.

Dass im Übrigen für die Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren der Anwaltszwang nicht gilt, ist höchstrichterlich längst geklärt (BGHZ 166, 117, 121 = NJW 2006, 2260, 2261; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 104 Rdn. 21 „Anwaltszwang“).

2.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten hat auch in der Sache selbst vollen Erfolg. Die Erstattung von Reisekosten für seinen Anwalt bzw. seine Anwälte steht dem Kläger nicht zu.

1.
Das Beschwerdeverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass beide Parteien in erheblichem Umfang, soweit es die Erstattung von Flugreisekosten des Anwaltes angeht, sich auf überholte Rechtsprechung und Literatur beziehen und sich darüber hinaus argumentativ ständig in großen Teilen wiederholen und zu rechtlich nicht Relevantem vortragen.

Maßgebliche Norm ist § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. ZPO. Hiernach sind der obsiegenden Partei die Reisekosten des Anwaltes, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist, nur insoweit zu erstatten, als dessen Hinzuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war.

Schon in seiner Entscheidung vom 12.12.2002 (NJW 2003, 901 = JB 2003, 205 = AnwBl 2003. 181) hat der BGH ausgeführt, dass drei Konstellation auseinander zu halten sind im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten bei Hinzuziehung eines Anwaltes:

a)
eine Partei wird an ihrem Wohnort/Geschäftssitz verklagt, schaltet aber einen auswärtigen Rechtsanwalt ein;

b)
eine Partei klagt an einem auswärtigen Gericht oder wird dort verklagt und schaltet einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Anwalt ein;

c)
wie b), jedoch wird ein an einem Drittort residierender Anwalt beauftragt.

Bezüglich der zweiten, hier vorliegenden Fallkonstellation gilt, dass die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des Anwaltes dem Grunde nach regelmäßig zu bejahen ist (BGH, a. a. O.; BGHReport 2004, 639; NJW 2007, 2048 = MDR 2007, 802). Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt, wird in aller Regel einen Anwalt in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen und ihn gegebenenfalls mit der Prozessvertretung zu betrauen. Sie wird ihn in der Annahme aufsuchen, dass zunächst ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich ist, da der Anwalt für eine ordnungsgemäße und erfolgreiche Sachbearbeitung auf Tatsacheninformationen durch die Partei angewiesen ist (BGH NJW 2002, 898, 900).

An der Notwendigkeit im Sinne des § 91 ZPO fehlt es aber dann, wenn schon bei Beauftragung des Anwaltes feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch auf persönlicher Basis nichterforderlich sein wird. Davon ist etwa bei einem gewerblichen Unternehmen mit sachbearbeitender Rechtsabteilung auszugehen (BGH NJW 2003, 898, 901; NJW 2003, 2027, 2028) oder bei einem Verbraucherverband (BGH MDR 2006, 356). Eine weitere Ausnahme ist dann zu machen, wenn der an einem Drittort Klagende über derart ausreichende Fachkenntnisse verfügt, dass von ihm verlangt werden kann und muss, um dem Gebot nach einer möglichst sparsamen Prozessführung nachzukommen (Zöller/Herget, § 91 Rdn. 12 m. w. N.), einen Rechtsanwalt am Gerichtsort schriftlich unter Nutzung der modernen Kommunikationsmedien zu informieren. In einem solchen Fall sind weder fiktive Reisekosten des Klägers zu einem am Sitz des Prozessgerichts tätigen Rechtsanwalt zu erstatten noch Reisekosten für An- und Rückreise eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwaltes.

Dies hat der BGH mehrfach für den Fall entschieden, dass ein Rechtsanwalt in eigener Sache an einem dritten Ort klagt oder verklagt wird, etwa in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter (BGH NJW 2004, 3187 = JB 2004, 658 = MDR 2004, 50; NJW-RR 2005, 1591 = Rpfleger 2005, 695 = MDR 2005, 117; NJW-RR 2007,129 = Rpfleger 2006, 430 = MDR 2007, 53). Gleiches ist von einem Steuerberater zu verlangen, der in eigener Sache am Drittort einen Prozess führt (BGH NJW-RR 2008, 654 = Rpfleger 2008, 279 = WM 2008, 422).

So liegt der Fall hier. Der Kläger ist Rechtsanwalt und nach eigenem Vortrag insbesondere auf dem Gebiet des Presse- und Medienrechts tätig. Von daher war er zweifelsfrei in der Lage, einen Kollegen in Köln schriftlich so zu informieren, dass dieser seine Rechte vor dem dort angerufenen Landgericht in jeglicher Hinsicht umfassend wahren konnte. Es war von daher nicht erforderlich, einen Berliner Anwalt mit der Prozessführung zu betrauen. Dass der Kläger einen Sozius betraut hat, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Hiernach ergibt sich folgende Berechnung des vom Beklagten für die erste Instanz an den Kläger zu erstattenden Betrages:

# 1,3 Verfahrensgebühr 631,80 €

# 1,2 Terminsgebühr 583,20 €

# Pauschale 20,00 €

1.235.00 €
zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer 234.65 €
1.469,65 €
zuzüglich Gerichtskosten 288,00 €
1.757,66 €

2.
Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass ein Kläger allein deswegen, dass er von der ihm gesetzlich eingeräumten Möglichkeit des Wahlgerichtsstandes, §§ 32, 35 ZPO Gebrauch macht, kostenerstattungsrechtlich keine Nachteile befürchten muss (OLG Hamm, NJW 1987, 139; OLG Köln Rpfleger 1992, 222; OLG München JB 1994, 477; OLG Hamburg, NJW-RR 2007, 763; Zöller/Vollkommer § 35: Rdn. 5; a. A. Zöller/Herget, § 91 Rdn. 13 „Wahlgerichtsstand“).

3.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

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