OLG München: Identifizierende Berichterstattung über Strafverfahren kann im Voraus untersagt werden

veröffentlicht am 1. Februar 2012

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG München, Beschluss vom 11.01.2012, Az. 18 W 1752/11
§ 823 BGB, § 1004 BGB; Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG

Das OLG München hat entschieden, dass eine einstweilige Verfügung bezüglich einer identifizierenden Berichterstattung in einem Strafverfahren auch ergehen kann, bevor die Hauptverhandlung stattfindet, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine dann erfolgende identifizierende Berichterstattung vorliegt. Im entschiedenen Fall ergab sich die Erstbegehungsgefahr aus einem parallelen Fall, der einige Wochen zuvor stattfand und in dem die Beklagte auch identifizierend berichtet hatte. Im vorliegenden Fall war von einem identischen Vorgehen auszugehen, weshalb die Untersagung erfolgte. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht München

Beschluss

I.
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 30.8.2011 wird zurückgewiesen.

II.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.
Der Wert der Beschwerde beträgt 4.600 €.

Gründe

I.

Der Verfügungskläger hat im vorliegenden Rechtsstreit am 1.7,2011 eine einstweilige Verfügung erwirkt, durch die der Verfügungsbeklagten die ihn identifizierende Berichterstattung über die am 12.7.2011 bevorstehende Hauptverhandlung gegen den Verfügungskläger vor dem Amtsgericht München verboten wurde. Die Parteien haben den Rechtsstreit im Widerspruchstermin vom 10.8.2011 nach Abgabe einer Unterlassungserklärung durch die Verfügungsbeklagte übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Zivilkammer hat daraufhin mit Beschluss vom 30.8.2011 die Kosten des Rechtsstreits der Verfügungsbeklagten auferlegt. Gegen diesen ihr am 6.9.2011 zugestellten Beschluss hat die Verfügungsbeklagte am 19.9.2011 sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Kosten dem Verfügungskläger aufzuerlegen. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 4.10.2011 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 91 a Abs. 2, § 569 ZPO). Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg, denn der angegriffene Beschluss entspricht der Sach- und Rechtslage.

Nachdem die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist in erster Linie der ohne die Erledigung zu erwartende Verfahrensausgang maßgeblich (Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 91 a Rnr. 24, 25). Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Ermessensausübung durch das Landgericht nicht zu beanstanden.

Die Kammer hat bei – gebotener und ausreichender – summarischer Betrachtung zu Recht angenommen, dass ohne die Erledigung der Verfügungskläger voraussichtlich obsiegt hätte. Insoweit wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung des angegriffenen Beschlusses in vollem Umfang Bezug genommen.

Das Landgericht hat nicht verkannt, dass an die Annahme einer Erstbegehungsgefahr hohe Anforderungen zu stellen sind. Es hat aber in nicht zu beanstandender Weise aus den Umständen, dass die Verfügungsbeklagte regelmäßig über im Licht der Öffentlichkeit stehende Strafverfahren berichtet und bereits über die Hauptverhandlung gegen einen anderen Angeklagten berichtet hatte, gegen den ebenso wie gegen den Verfügungskläger infolge eines Berichts in der Sendung „Tatort Internet“ ein Strafverfahren eingeleitet worden war, geschlossen, dass die Gefahr bestand, dass die Verfügungsbeklagte auch über die nur knapp fünf Wochen später stattfindende Hauptverhandlung gegen den Verfügungskläger in gleicher Weise berichten würde.

Es trifft zwar zu, dass sich der Verfügungskläger weder auf ein fertiges noch ein in Arbeit befindliches Manuskript stützen konnte, und auch soweit ersichtlich noch keine Recherchen durchgeführt wurden (vgl. Soehring, Presserecht, 4. Aufl. § 30 Rnrn.12/13a). Derartige Vorbereitungen waren aber bei einer Gerichtsberichterstattung nicht zu erwarten, zumal auch der Bericht über die Verhandlung in dem Parallelverfahren bereits am Tag nach dem Termin erschienen war. Die Verfügungsbeklagte hat andererseits keinen nachvollziehbaren Grund dargelegt, warum sie über die Hauptverhandlung gegen den Verfügungskläger nicht oder anders, nämlich streng anonymisiert, berichtet hätte. Dass die Verfügungsbeklagte als Herausgeberin einer großen Münchner Boulevardzeitung, wie sie behauptet, von den Vorwürfen gegen den Antragsteller und der bevorstehenden Hauptverhandlung keine Kenntnis hatte und schon deshalb nicht darüber berichten konnte, ist nicht glaubhaft gemacht und erscheint fernliegend angesichts der Tatsache, dass die dem Verfügungskläger angelastete Straftat Gegenstand einer vielbeachteten Fernsehsendung war, die ebenfalls in München erscheinende SZ am 8.6.2011 über die bevorstehende Hauptverhandlung unter Angabe des Datums berichtete, und gerichtsbekannt die Sitzungslisten bei den Pressestellen der Gerichte von Journalisten im voraus eingesehen werden können und auch eingesehen werden.

Dass eine identifizierende Berichterstattung über das streitgegenständliche Strafverfahren, ebenso wie über das am 7.6.2011 verhandelte Parallelverfahren, unzulässig gewesen wäre, wird auch von der Verfügungsbeklagten nicht in Zweifel gezogen. In der Berichterstattung über die Verhandlung vom 7.6.2011 in der von der Verfügungsbeklagten herausgegebenen Online-Ausgabe vom 8.6.2011 war der dortige Angeklagte identifizierbar. Er war mit Vornamen und Initial des Nachnamens bezeichnet. Ferner waren sein Beruf und sein Wohnort genannt, und es war ein Photo beigefügt, in dem nur das Gesicht unkenntlich gemacht worden war. Bei entsprechenden Angaben wäre auch der Verfügungskläger jedenfalls für seinen – auch weiteren – Bekanntenkreis erkennbar gewesen. Wie leicht diese Identifizierung im Internet auch schon anhand geringerer Anhaltspunkte möglich ist, lässt sich dem als Anlage A5 vorgelegten Ausdruck entnehmen.

Die Veröffentlichung eines ebenfalls unzulässigerweise identifizierenden Berichts über die Hauptverhandlung gegen den Verfügungskläger lag demnach jedenfalls nahe. Die unter diesen Umständen gebotene Interessenabwägung ließ den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerechtfertigt erscheinen. Der Verfügungskläger hat nämlich durch Vorlage des Computerausdrucks (Anlage A5) und des polizeilichen Berichts über die Gefährdetenansprache (Anlage A6) glaubhaft gemacht, dass ihm bei einer erneuten identifizierenden Berichterstattung erhebliche Rechtsgutverletzungen drohten (vgl. Soehring a.a.O. Rnr. 14). Dies wiegt umso schwerer, als auch seine an der Straftat völlig unbeteiligten Familienmitglieder davon mit betroffen gewesen wären. Andererseits kann das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch durch eine anonymisierte Berichterstattung befriedigt werden, wie der von der Verfügungsbeklagten am 13.7.2011 tatsächlich veröffentlichte Bericht (Bl. 30 d.A) zeigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.

Auf das Urteil hingewiesen haben Rechtsanwälte Alavi, Frösner, Stadler über openjur.de (hier).

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