OLG München, Beschluss vom 03.01.2023, Az. 18 W 1681/22
§ 823 Abs. 1 BGB , § 1004 BGB, Art. 1 Abs. 1 GG
Das OLG München hat entschieden, dass eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts nicht vorliegt, wenn keine Entstellung des Lebensbildes des Verstorbenen zu erkennen ist. Verfahrensgegenständlich war eine Bildveröffentlichung mit einem Mann in einem Büro samt Bildunterschrift mit der fälschlichen Behauptung, das Foto zeige den verstorbenen Vater der Antragstellerin (während es tatsächlich ihr Onkel war) und einen Text, in welcher die Beschreibung „sachlich, zweckmäßig, fast ohne persönliche Note“ fiel und der Kommentar „„Wer das Bild betrachtet, wird wohl kaum neidisch werden auf …“ zu finden war. Das Landgericht und der Senat sahen hierin einerseits eine unverfängliche Tatsachenbehauptung, welche den durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruch des Verstorbenen und das entsprechende Lebensbild des Verstorbenen jedenfalls nicht grob enstellt und daher seine Menschenwürde nicht verletzt. Andererseits liege eine zulässige, das Lebensbild des Verstorbenen ebenfalls nicht entstellende Meinungsäußerung vor. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht München
Beschluss
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 13.12.2022, Az. 14 O 4422/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der den Antragsgegnern die Veröffentlichung eines Bildes mit Bildunterschrift sowie einer Textpassage untersagt werden soll, wenn es geschieht wie in der Firmenchronik der Antragsgegnerin zu 1) mit dem Titel „…“. Sie stützt ihr Begehren auf den Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihres Vaters, der im Jahr 2003 verstorben ist und rund 40 Jahre in der Geschäftsführung und -leitung der Antragsgegnerin zu 1) tätig war.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 13.12.2022 (BI. 13/19 d.A.) den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 15.12.2022 (BI. 1/9 d.A.), beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt und diese näher begründet.
Mit Beschluss vom 19.12.2022 (BI. 81/83 d.A.) hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die im Verfahren vorgelegten Schriftsätze der Antragstellerin nebst Anlagen und die vorgenannten gerichtlichen Entscheidungen Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach S. 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des S. 569 ZPO eingelegt worden. In der Sache hat die sofortige Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen.
In Übereinstimmung mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass der Antragstellerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß S. 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V.m. S. 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1 GG nicht zusteht. Der Senat macht sich die zutreffende Begründung des Landgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 19.12.2022 zu eigen.
1. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2016 – 1 BvR 1018/15, NJW 2017, 1537, juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029, juris Rn. 30 jeweils m.w.N.).
Dabei unterscheiden sich Tatsachenbehauptungen von Werturteilen dadurch, dass bei diesen die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, während für jene die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 16.03.1999 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199, 200 m.w.N.). Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es wesentlich darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, 279, juris Rn. 23; BGH, Urteil vom 16.12.2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773, juris Rn. 8 jeweils m.w.N.). Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773, juris Rn. 8 m.w.N.).
2. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts nicht identisch mit den Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Da Träger des aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG herzuleitenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur eine lebende Person sein kann, erlischt es mit dem Tod und sein Schutz wirkt nicht darüber hinaus. Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts lässt sich deshalb nur auf die der staatlichen Gewalt in Art. 1 Abs. 1 GG auferlegte Verpflichtung stützen, alle Menschen vor Angriffen auf die Menschenwürde zu schützen. Danach dürfen der durch die Lebensstellung erworbene Geltungsanspruch und das entsprechende Lebensbild eines Verstorbenen nicht grob entstellt werden; ein bloßes In-Frage-StelIen des Geltungsanspruchs genügt für eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts dagegen nicht, worauf das Landgericht bereits zutreffend hingewiesen hat (BVerfG, Beschluss vom 05.04.2001 – 1 BvR 932/94, NJW 2001, 2957).
Ob eine solche Verletzung bei einer konkreten Meinungsäußerung gegeben ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung ihres Sinns klären, für dessen Deutung der Kontext, hier die Verwendung in einer Firmenchronik, einzubeziehen ist. Bei der Prüfung der Eignung zur Verletzung der Menschenwürde kann ebenfalls erheblich werden, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt und deren Wahrheitsbeweis gelingt oder misslingt oder ob eine subjektiv-wertende Stellungnahme vorliegt (BVerfG a.a.O).
3. Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass das postmortale Persönlichkeitsrecht des Vaters der Antragstellerin vorliegend weder durch die angegriffene Bildberichterstattung noch durch die Wortberichterstattung verletzt ist.
a) Unter Zugrundelegung der dargelegten Maßstäbe entnimmt der maßgebliche Leser der Bildveröffentlichung samt Bildunterschrift die Behauptung, das Foto zeige den verstorbenen Vater der Antragstellerin. Darüber hinaus versteht der Leser die Bildunterschrift dahingehend, dass auf dem Foto das gemeinsame Büro des Verstorbenen und seines Vaters am Unternehmenssitz agebildet ist. Den sich anschließenden Satz „sachlich, zweckmäßig, fast ohne persönliche Note“ versteht der Leser als wertende Beschreibung des Büros durch den Autor, nicht dagegen als Beschreibung der Persönlichkeit oder der Zusammenarbeit des Verstorbenen und seines Vaters. Besonders der Begriff „zweckmäßig“ lässt eine solche Deutung nicht zu. Damit enthält die Bildunterschrift sowohl Tatsachenbehauptungen als auch eine subjektiv-wertende Stellungnahme.
Mit diesem Inhalt liegt in der angegriffenen Bildveröffentlichung samt Bildunterschrift keine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen.
Zwar behaupten die Antragsgegner in der Bildunterschrift fälschlicherweise, das Foto zeige den Vater der Antragstellerin, obwohl es nach der hier als wahr zu unterstellenden Behauptung der Antragstellerin eine andere Person, nämlich den Onkel der Antragstellerin, zeigt. Auch kann eine das postmortale Persönlichkeitsrecht verletzende Entstellung des Lebensbildes des Verstorbenen grundsätzlich durch die Behauptung unwahrer Tatsachen über den Verstorbenen geschehen (BGH, Teilurteil vom 29.1 1.2021 – VI ZR 248/18, NJW 2022, 847), die auch darin liegen kann, dass der Verstorbene auf einem Foto abgebildet ist, das tatsächlich eine andere Person zeigt.
Eine Entstellung des Lebensbildes im dargelegten Sinne liegt jedoch nicht in jeder Fehldarstellung, die gegenüber einem unvoreingenommenen und verständigen Publikum den Anspruch auf Authentizität erhebt und ihren durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruch in Frage stellt, sondern nur in einer solchen, die nach Inhalt oder Umfang den mit dem Persönlichkeitsbild verbundenen Achtungsanspruch der Person oder deren sozialen Geltungsanspruch im Kern trifft (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.1984 – I ZR 73/82, GRUR 1984, 907, 908). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Person, die angeblich den Vater der Antragstellerin darstellen soll, ist in einem Büro bei der Arbeit am Schreibtisch sitzend abgebildet. Sie ist angemessen mit Anzug und Krawatte gekleidet und nur im Profil dargestellt. Das Foto weist keinerlei herabwürdigende Darstellung auf. Es ist – auch in Verbindung mit der unterstellt unzutreffenden Information, dass es den Vater der Antragstellerin zeige – nicht geeignet, dessen Lebensbild als langjähriger Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1) und erfolgreicher Geschäftsmann grob zu entstellen. Dies gilt umso mehr, als das Foto einen Mann in jungen Jahren und damit in einem Alter abbildet, in dem der Vater der Antragstellerin nur noch wenigen Mitarbeitern oder Kunden der Antragsgegnerin zu 1) persönlich in Erinnerung sein dürfte, nachdem er bereits im Jahr 2003 verstorben ist.
Soweit die Antragsgegner in der Bildunterschrift des Weiteren unzutreffend behaupten, das Foto zeige das gemeinsame Büro des Verstorbenen und seines Vaters am Unternehmenssitz obwohl das Bild nach der Behauptung der Antragstellerin ein Büro im Unternehmen ihres Onkels in I zeigt, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Das Büro ist auf dem Foto nur ausschnittsweise abgebildet. Erkennbar sind zwei große Schreibtische und eine Deckenleuchte im Vordergrund und eine holzvertäfelte Wand im Hintergrund. Individualisierende Merkmale sind für den Leser nicht erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, wie durch die unzutreffende Zuordnung des Büros das Lebensbild des Verstorbenen entstellt werden könnte.
b) Der angegriffenen Wortberichterstattung „An dieser Stelle muss eine Spekulation erlaubt sein… “ entnimmt der maßgebliche Leser, dass das Foto darauf schließen lasse, dass der Vater des Verstorbenen als „Seniorchef“ in der Zeit, in der das streitgegenständliche Foto entstanden ist, die für das Unternehmen wichtigen Entscheidungen getroffen habe, wohingegen sich der Verstorbene als „Juniorchef‘ seinem Vater unterzuordnen hatte. Die Formulierung „Wer das Bild betrachtet, wird wohl kaum neidisch werden auf …“ versteht der Leser dahingehend, dass die Zusammenarbeit des Verstorbenen mit seinem Vater nicht einfach und für den Verstorbenen nicht immer angenehm war.
Mit diesem Inhalt handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung insgesamt um eine Meinungsäußerung, wovon auch das Landgericht zutreffend ausgegangen ist.
Zwar berührt die Textpassage die Menschenwürde des Verstorbenen, weil sie zum Ausdruck bringt, dass dieser zum Zeitpunkt des Entstehens der Fotoaufnahme sich seinem dominanten Vater, der als Unternehmenspatriarch beschrieben wird, unterzuordnen hatte. Darüber hinaus ist zur berücksichtigten, dass die Antragsgegner gleichsam als Beleg für ihre „Spekulation“ das oben beschriebene Bild anführen, das aber nicht den Verstorbenen, sondern eine andere Person zeigt. Damit stützt sich die angegriffene Meinungsäußerung auf einen falschen Tatsachenkern, was sie weniger schützenswert macht. In der Gesamtschau ist die angegriffene Textpassage daher geeignet, den sozialen Geltungswert des Verstorbenen zu verletzen.
Dennoch entstellt die angegriffene Äußerung den durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruch und das entsprechende Lebensbild des Verstorbenen nicht grob und verletzt daher seine Menschenwürde nicht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Veröffentlichung ersichtlich nicht Ausdruck der Verachtung des Verstorbenen sein sollte. Vielmehr versteht der Leser die „Spekulation“ dahingehend, dass auch der Verstorbene es in seinem beruflichen Werdegang nicht immer einfach hatte und sich seine Stellung im Unternehmen erst erarbeiten und sich von seinem Vater, der vor ihm das Unternehmen leitete, emanzipieren musste. Dass dies gänzlich unzutreffend sei, behauptet die Antragstellerin selbst nicht. In jedem Fall wird durch die Darstellung nicht das Lebensbild des Verstorbenen grob entstellt, das durch seine später erreichte Stellung als langjähriger Unternehmenschef eines national und international tätigen und bekannten Unternehmens und nicht durch seine Anfangsjahre als „Juniorchef‘ maßgeblich geprägt ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf S. 97 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf S. 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, S. 3