OLG Naumburg, Beschluss vom 10.11.2011, Az. 2 Ss 156/11
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, § 186 StGB, § 193 StGB
Das OLG Naumburg hat entschieden, dass die Bezichtigung einer Stasi-Mitgliedschaft nicht ohne Weiteres als Beleidigung aufgefasst werden darf, da es sich hierbei um eine dem Beweis zugängliche Behauptung handele. Streitgegenständlich war die schriftliche Erklärung „In der JVA MD wurde die MSF-Tätigkeit [Red.: Wurde von dem Gericht als Arbeit für das Ministerium für Staatssicherheit / MfS / sog. „Stasi“ gewertet] von Dr. X. als Strafvollzugsarzt bekannt und ich habe Anspruch auf ärztliche Fürsorge, auch vom Gericht, aber die wurde verweigert. Die Körperverletzung ist eindeutig nachgewiesen und ich lehne diesen befangenen Arzt erneut ab,…“. Auch die Äußerung gegenüber einem Polizeibeamten, „Oberstaatsanwalt … ist ein Rechtsbrecher und seine Tage bei der Justiz sind gezählt“ wertete das Gericht nicht als Beleidigung, sondern als zulässige Meinungsäußerung. Zum Volltext der Entscheidung
Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss
In der Strafsache
gegen
wegen Beleidigung u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 10.11.2011unter Mitwirkung … gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 17.05.2011 – mit Ausnahme der Feststellungen zur Tat vom 05.09.2008 und der Kosten- und Auslagenentscheidung zur vorläufigen Einstellung vom 28.07.2010 – aufgehoben.
2.
Der Angeklagte wird vom Vorwurf der Beleidigung zum Nachteil von Oberstaatsanwalt PP. (Tat vom 05.09.2008) freigesprochen; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache, soweit der Angeklagte nicht freigesprochen ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Magdeburg sprach den Angeklagten mit Urteil vorn 27. April 2010 vom Vorwurf der Beleidigung in zwei Fällen frei. Am 28. Juli 2010 verurteilte es den Angeklagten „wegen strafbarer Verletzung gewerblicher Vorschriften“ zur Geldstrafe von 100 Tagessätzen in Höhe von jeweils 50,00 EUR. Auf die gegen beide Entscheidungen gerichteten, teilweise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat das Landgericht Magdeburg nach Verbindung beider Verfahren den Ange- klagten unter Verwerfung seines Rechtsmittels wegen „strafbarer Verletzung gewerblicher Vorschriften“ und Beleidigung in zwei Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu 5,00 EUR verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision und beanstandet die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Der Angeklagte ist in einem Fall vom Vorwurf der Beleidigung aus Rechtsgründen freizusprechen; im Übrigen führen die mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge aufgezeigten Verletzungen des Gesetzes zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Landgericht (§§ 349 Abs. 4; 352; 344; 337; 353; 354 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO).
1.
Die Verfahrensrüge des Angeklagten greift durch. Das Landgericht hat zumindest einen der Beweisanträge vom 17. Mai 2011 unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.
a)
Der Verurteilung des Angeklagten wegen „strafbarer Verletzung gewerblicher Vorschriften“ liegen folgende Feststellungen des Landgerichts zugrunde:
Der Landrat des Kreises Höxter sprach am 21. Oktober 2004 gegen den Anklagten eine vollziehbare erweiterte Gewerbeuntersagung aus. Dennoch habe der Angeklagte vom 1. September 2005 bis zum 5. Januar 2006 als Mitgesellschafter der „GbR pp.“ das „Hotel Y.“ in Z. betrieben, nachdem er bereits zuvor verbotswidrig ein Hotel in A. bewirtschaftet habe.
b)
Der Angeklagte hat sich im Verfahren vor dem Landgericht damit verteidigt, innerhalb der Gesellschaft nur beratende Funktion gehabt zu haben. Sein Verteidiger stellte in der Hauptverhandlung des Berufungsgerichts u.a. folgenden Beweisantrag:
„Zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte pp. im Zeitraum 1.9.2005 bis 26.8.2006 keinerlei Aktivitäten zum Betrieb des Hotels „Y.“ in Z. entfaltet hatte, insbesondere keine Zimmer vermietet, keine Ankäufe von Betriebsmitteln wie Lebensmitteln, Hygieneartikel, Bettwäsche, Handtücher, Einrichtungsgegenstände für die Hotelzimmer getätigt hat, keine Aufträge an Drittunternehmer z.B. Handwerker etc. erteilt oder deren Werke abgenommen hat, keine Personalentscheidungen wie z.B. Einstellung oder Kündigung von Hotelpersonal getroffen oder im täglichen Betrieb diesem Personal Anweisungen erteilt hat, soll Herr pp., als Zeuge vernommen werden. Der Zeuge war selbst der Entscheidungsträger im täglichen Betrieb des Hotels „Y.“. Der Zeuge wird ebenfalls bestätigen, dass der Angeklagte lediglich beratend tätig war, was den Schriftverkehr mit den Behörden oder Vertragspartnern der GbR anging“.
Diesen Antrag hat die Kammer durch Beschluss mit der Begründung abgelehnt, der Zeuge sei für die behaupteten Negativtatsachen ein völlig ungeeignetes Beweismittel, weil es zur Überzeugung des Gerichts lebensfremd und ausgeschlossen sei, dass er Handlungen des Angeklagten im aufgeführten Zeitraum vom 1. September 2005 bis zum 26. August 2006 lückenlos wahrgenommen habe. Dies gelte ebenfalls für den Schriftverkehr des Angeklagten mit Behörden und Vertragspartnern.
c)
Im angefochtenen Urteil geht das Landgericht von der Zuwiderhandlung gegen die Gewerbeuntersagung aus, weil der Angeklagte eingeräumt habe, im Rahmen des Gesellschaftsvertrages im Bereich „Management und Recht“ tätig gewesen zu sein. Bereits dies zeige sein eigenes Interesse an der Führung des untersagten Gewerbes. Zudem sei die Kammer aufgrund einer Gesamtschau der erhobenen Beweise davon überzeugt, dass der Angeklagte das „Hotel Y.“ tatsächlich betrieben habe.
d)
Hiernach rügt die Revision zu Recht die fehlerhafte Behandlung eines Beweisantrages.
Die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 148 Nr. 1 GewO i.V.m. § 146 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a) GewO setzt die Ausübung des untersagten Gewerbes voraus. Gewerbetreibende einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind grundsätzlich die Gesellschafter, die Einfluss auf die Geschäftsführung haben, was regelmäßig auf die geschäftsführungsbefugten Gesellschafter zutrifft (vgl. §§ 709 Abs. 1; 710 BGB; OVG Lüneburg NVwZ-RR 2009, 103, 104; Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, 58. Ergänzungslieferung, Nr. 8.4.3. GewUVwV). An diese Rechtslage und die sich zusätzlich stellende Frage nach der tatsächlichen Leitung des Betriebes als beauftragte Person knüpfte der Beweisantrag des Angeklagten (zur Einordnung als Beweisantrag vgl. bspw. BGH NStZ 1999, 362 f.) an. Dieser war bei verständiger Würdigung zu der das Landgericht verpflichtet war, (vgl. BGH NStZ 2000, 267, 268; 2008, 351, 352), nicht (nur) auf die im Beweisantrag genannten Tätigkeiten gerichtet, sondern sollte dazu dienen, die Geschäftsführung aufzuklären und dem nach dem Vorbringen dazu allein befugten Zeugen pp. zuzuschreiben. Der Zeuge war hierzu nicht völlig ungeeignet, sondern eher das sachnächste Beweismittel. Er sollte aus seiner Gesellschafterrolle heraus bekunden, wer die Geschäfte des Hotels führte und damit das Gewerbe betrieb. Ein Beweismittel ist dementgegen nur dann völlig ungeeignet, wenn das Gericht feststellt, dass mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht zu er- zielen ist, wofür ein strenger Maßstab gilt; ein geminderter, geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit gleichgesetzt werden (BGH NStZ 2008, 116).
Weil sich das Landgericht erst in einer Gesamtschau der erhobenen Beweise von der Gewerbeausübung durch den Angeklagten überzeugt hat, ist nicht auszuschließen, dass die Bekundungen des Zeugen pp. die verschiedenen Indizien in einem anderen Licht hätten erscheinen lassen.
2.
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung des Dr. X. (Tat vom 16. Juli 2008) hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a)
Das Landgericht hat festgestellt:
Der Arzt Dr. X. hatte den Angeklagten in einem Hauptverhandlungstermin als verhandlungsfähig betrachtet. Am 16. Juli 2008 schrieb der Angeklagte an das Amtsgericht Magdeburg:
„In der JVA MD wurde die MSF-Tätigkeit von Dr. X. als Strafvollzugsarzt bekannt und ich habe Anspruch auf ärztliche Fürsorge, auch vom Gericht, aber die wurde verweigert. Die Körperverletzung ist eindeutig nachgewiesen und ich lehne diesen befangenen Arzt erneut ab,…“.
Mit „MSF-Tätigkeit“ war – entgegen der Einlassung des Angeklagten – (ersichtlich) „MfS- Tätigkeit“, also eine Arbeit des Dr. X. im Ministerium für Staatssicherheit der DDR gemeint. Mit der Äußerung wollte der Angeklagte dem Arzt bewusst seine Missachtung zum Ausdruck bringen. Er war verärgert, weil ihn der Arzt nicht als verhandlungsunfähig eingeschätzt hatte. Es kam dem Angeklagten darauf an, den Betroffenen zu schmähen.
b)
Durch die eines tatsächlichen Hintergrundes entbehrende Bezeichnung als Mitarbeiter des MfS und die Bezichtigung einer Körperverletzung, so das Landgericht weiter, habe der An- geklagte den Geschädigten schmähen wollen, weshalb er für sich keine Wahrnehmung berechtigter Interessen in Anspruch nehmen könne und wegen Beleidigung zu verurteilen sei. Das ist nicht frei von Rechtsfehlern.
c)
Die zutreffende strafrechtliche Einordnung einer vorgeworfenen Äußerung setzt bei Beleidigungsdelikten deren inhaltlich Erfassung und die Ermittlung ihres Gehalts durch den Tatrichter im Wege der Auslegung voraus (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305; 1996, 1529, 1530; vgl. auch BayObLG NJW 2005, 1291 m.w.N.). Bereits hieran fehlt es dem angefochtenen Urteil, was der revisionsrechtlichen Nachprüfung durch den Senat unterliegt (BGH NJVV 2009, 1872, 1873; OLG Köln NStZ 1981, 183, 184; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Februar 2007, 2 Ss 589/06 – BeckRS 2007, 14959 m.w.N.).
Bei der Arbeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR und dem Körperverletzungsvorwurf handelt es sich um dem Beweis zugängliche Tatsachen (vgl. OLG Hamburg DtZ 1992, 223), die geeignet sind, den Betroffenen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen (BGH DtZ 1994, 343, 344). Die Kundgabe von Tatsachen über eine Person gegenüber einem Dritten wird nicht von § 185 StGB, sondern von den speziellen Vorschriften der §§ 186, 187 StGB erfasst (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 185 Rdn. 5). Diese wiederum verlangen für die Strafbarkeit die Unwahrheit bzw. Nichterweislichkeit der Tatsachenbehauptung, wozu das Landgericht keine Feststellungen trifft (vgl. zur Aufklärungspflicht des Tatrichters und zum Wahrheitsbeweis Fischer, § 186 Rdn. 11; § 187 Rdn. 2). Die Kammer durfte sich nicht darauf beschränken festzustellen, für eine MfS-Tätigkeit des Arztes gäbe es keinen tatsächlichen Hintergrund. Der gesetzliche Tatbestand stellt auf die Wahrheit oder Unwahrheit der Tatsache ab. Die Äußerung ohne tatsächlichen Hintergrund ist nicht per se „unzutreffend“.
Von den Feststellungen zur Wahrheit der Äußerung konnte das Landgericht nicht deshalb absehen, weil es davon ausging, der Angeklagte habe den Arzt Dr. X. schmähen wollen. Zunächst ist das Vorliegen einer Schmähkritik im Sinne von §§ 192, 193 StGB dem (objektiven) Erklärungsinhalt zu entnehmen und nicht aus Absichten des Erklärenden herzu- leiten. Außerdem kann der Tatrichter die Wahrheit der kundgegebenen Tatsachen nicht offen lassen und sogleich wegen der (Formal-)Beleidigung verurteilen (BGH NJVV 1978, 834, 835; Regge, in: MünchKomm.-StGB, § 192 Rdn. 15; Fischer, § 186 Rdn. 12).
Der Rechtsfehler des Landgerichts führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Das Landgericht muss prüfen, ob der Angeklagte unwahre Tatsachen behauptet hat. Hierbei wird es zu berücksichtigen haben, dass der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen nicht erklärt hat, Dr. X. habe für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet, sondern es sei in der JVA Magdeburg „bekannt geworden“, dass Herr X. als Strafvollzugsarzt für das MfS tätig geworden sei.
Außerdem fehlt bisher jede nachvollziehbare Feststellung, was es mit der vom Angeklagten erwähnten Körperverletzung auf sich hat und was mit dem Schreiben vom 16.07.2008 in welcher Phase des Verfahrens vor dem Amtsgericht mit der Ablehnung des Arztes erreicht werden sollte.
3.
Im Übrigen ist der Angeklagte freizusprechen. Sein Verhalten vom 05.09.2008 gegenüber dem Polizeibeamten Y. ist nicht strafbar.
a)
Das Landgericht stellt fest:
Der Angeklagte, der sich in Haft befand, wurde vom Kriminalhauptmeister Y. am 05.09.2008 in der JVA Magdeburg aufgesucht und davon in Kenntnis gesetzt, dass Oberstaatsanwalt PP. einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt und auf dieser Grundlage die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten stattgefunden hatte. Der Angeklagte war verärgert und der Meinung, die Maßnahme habe nicht in Abwesenheit seines Verteidigers durchgeführt werden dürfen, der den Durchsuchungsbeschluss angefochten habe. Er äußerte gegenüber dem Polizeibeamten, Oberstaatsanwalt PP. sei ein Rechtsbrecher und seine Tage bei der Justiz seien gezählt. Er, der Angeklagte, werde ihn nach seiner Entlassung bis zum Schluss verfolgen. Dies solle Herr Y. dem Oberstaatsanwalt auch so mitteilen. Hiermit wollte der Angeklagte Oberstaatsanwalt PP. gegenüber seine Missachtung zum Ausdruck bringen.
b)
Das Landgericht hat sodann ausgeführt, damit habe sich der Angeklagte einer Beleidigung schuldig gemacht. Berechtigte Interessen seien von ihm nicht wahrgenommen worden. Der Angeklagte sei über die Bezeichnung „Rechtsbrecher“ hinausgegangen und habe die weitergehende Formulierung als Schmähkritik verwendet, da eine Diffamierung des Oberstaatsanwalts im Vordergrund gestanden habe.
c)
Die Sachrüge des Angeklagten beanstandet dies zu Recht als fehlerhaft.
Die Erklärung des Angeklagten ist unter Berücksichtigung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nach § 193 StGB gerechtfertigt. Der Angeklagte nahm berechtigte Interessen zur Ausführung und Verteidigung von Rechten wahr, indem er – wenn auch scharfe – Kritik an dem Vorgehen des Staatsanwalts übte, ohne dass die vollständigen Feststellungen des Landgerichts aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, eine Beleidigung tragen, insbesondere liegt – entgegen der Annahme der Strafkammer – eine Schmähung fern.
Auch polemische oder verletzende Meinungsäußerungen unterfallen dem Schutzbereich des Rechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfG NJW 2002, 3315, 3316), der § 193 StGB prägt. Berechtigte Interessen werden u.a. nur dann nicht wahrgenommen, wenn sich die Äußerung als Schmähkritik erweist und jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lässt, also an Stelle der Auseinandersetzung mit der Sache die bloße Herabsetzung der betroffenen Person im Vordergrund steht, welche gleichsam an den Pranger gestellt wird (BVerfG NJVV 1995,3303, 3304; 2003, 3760; 2008, 358, 359; BGH NJVV 2009, 1872, 1874; 2690, 2692). An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie setzt die Berücksichtigung von Anlass und Kontext (BVerfG NJVV 2009, 749, 750) sowie zunächst die Auslegung der Äußerung zur Ermittlung ihres Gehalts voraus. An all dem fehlt es der angefochtenen Entscheidung. Da weitergehende Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat die Erklärung des Angeklagten würdigen.
Die Bezeichnung des Staatsanwalts als „Rechtsbrecher“ hat das Landgericht als Werturteil betrachtet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie fand im Rahmen der Auseinandersetzung des Angeklagten mit der in seiner Wohnung durchgeführten und von ihm als rechtswidrig empfundenen Durchsuchung statt, womit die Sicht des Landgerichts möglich erscheint (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 40, 41 f., aber auch BGH NJW 2009, 1872, 1874 – „Korruption“ als auf Wertung beruhende Beurteilung und BVerfG NJW 2008, 358, 359; Regge, § 186 Rdn. 11 – Pauschalurteil als Wertung; OLG Jena NJW 2002, 1890, 1891; Valerius, in: BeckOK-StGB, Stand: 15.08.2011, § 186 Rdn. 7.1).
Der Angeklagte war also der Meinung, der Betroffene habe vorwerfbar gegen das Recht verstoßen. Das muss ein Bürger im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen, wie sie hier im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten stattfanden, ungestraft sagen dürfen. Dies gilt umso mehr, als der inhaftierte Angeklagte – im Hinblick auf § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO möglicherweise zu Recht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 106 Rdn. 4) – über die unterlassene Zuziehung seines Verteidigers verärgert war. Gerade weil sich diese Verärgerung spontan entlud, sich der Angeklagte nur mündlich Luft machte und die Äußerung keinesfalls eines sachlichen Zusammenhangs entbehrte, kann von einer die Person des Geschädigten im Ganzen herabsetzenden Schmähkritik keine Rede sein (BVerfG NJW 2009, 749, 750; Beschluss vom 20. Mai 1999, 1 BvR 1294/96 – BeckRS 1999, 30060310).
Dergleichen nimmt das Landgericht auch erst im Zusammenhang mit der weitergehenden Erklärung an, die Tage des Staatsanwalts in der Justiz seien gezählt und der Angeklagte werde ihn bis zum Schluss verfolgen. Hierin ist aber nichts Ehrenrühriges enthalten. Dass der Angeklagte den „Rechtsbrecher“ verfolgen werde, ist keine herabsetzende Bewertung der Person, sondern eine Ankündigung, von seinen Rechten Gebrauch zu machen und die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Verstöße gegen das Recht können für einen Staatsanwalt berufliche Konsequenzen haben. Das ist allgemein bekannt, folgt aus dem Vorwurf des Rechtsbruchs und enthält schlimmstenfalls als straflose Prognose einen Hin- weis darauf, dass der Rechtsbruch nach Auffassung des Angeklagten von gewissem Gewicht war. Das macht aus erlaubter keine Schmähkritik.
Angesichts dessen fällt auch die vorzunehmende Abwägung der Beeinträchtigungen, die im Einzelfall auf der einen Seite der durch § 185 StGB geschützten persönlichen Ehre und auf der anderen Seite dem Recht der Freiheit der Meinungsäußerung drohen (BVerfG NJW 2000, 199, 200), zugunsten der Meinungsfreiheit des Angeklagten aus. Dem Bürger muss es auch angesichts des Rechtsstaatsprinzips und des rechtlichen Gehörs gestattet sein, sich in einem laufenden Verfahren mit staatlichem Handeln, insbesondere der Justizbehörden, auseinanderzusetzen. Hierzu kann er sich – in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs (vgl hierzu OLG Jena NJW 2002, 1890, 1891), für deren Überschreiten keine Anhaltspunkte bestehen – auch deutlicher Formulierungen bedienen, um seiner Auffassung Ausdruck zu verleihen (vgl. BVerfG NJW 2005, 3303, 3304; BayObLG NJW 2005, 1291, 1292; OLG Düsseldorf NJW 1998, 3214, 3215; KG NStZ-RR 1998, 12, 13; OLG Bremen NStZ 1999, 621, 622; OLG Hamm a.a.O.). Dementgegen ist ein Oberstaatsanwalt schon von Berufs wegen in der Lage und gehalten, spontan und nicht frei von Emotionen gegenüber einer einzelnen Person geäußerte, allein ihm mitzuteilende überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim Kampf um das Recht auszuhalten (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 44 f.; OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 201).
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.
Auf das Urteil hingewiesen hat RA Detleff Burhoff (hier).