OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.04.2007, Az. 3 W 485/07
§ 3 ZPO, § 32 Abs. 1 RVG, § 51 GKG, § 142 MarkenG
Das OLG Nürnberg ist der Auffassung, dass bei einem Markenrechtsverfahren, das nicht die Löschung der Marke betrifft, kein Regelstreitwert von 50.000,00 EUR anzusetzen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, welcher in seinem Beschluss vom 16.3.2006, Az. I ZB 48/05 die Auffassung geäußert hatte, dass für die Festsetzung des Gegenstandswerts bei einem Antrag auf Markenlöschung das wirtschaftliche Interesse des Markeninhabers an der Aufrechterhaltung seiner Marke Ausschlag gebend sei, welches sich nach Auffassung des Senats im Regelfall mit 50.000 EUR bemesse.
Oberlandesgericht Nürnberg
Beschluss
Die Antragstellerin ist Inhaberin einer Wortmarke und Wort/Bildmarke „Ohne Dich ist alles doof“. Die Antragsgegnerin zu 1) ist eine GmbH, die Antragsgegnerin zu 2) ist die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin zu 1). Mit einer im Mai 2006 beim LG eingereichten Antragsschrift hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgendem Inhalt beantragt: Den Antragsgegnern wird bei … (es folgt die Androhung von Ordnungsmitteln) untersagt, mit der Bezeichnung „Ohne Dich ist alles doof“ versehene Bekleidungsstücke und/oder Puppen und/oder Spielwaren und/oder Spielzeug im geschäftlichen Verkehr feilzuhalten, zu bewerben, anzubieten oder sonst wie in den Verkehr zu bringen und/oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, wie dies insbesondere in Form der nachfolgend abgebildeten Weise geschehen ist.
Die Antragstellerin hat ihren Unterlassungsantrag unter Hinweis auf ihre eingetragenen Marken auf § 14 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG gestützt mit der Behauptung, die Antragsgegnerinnen würden ihre (Antragstellerin) markenrechtlich geschützte Kennzeichnung für ihre (Antragsgegnerinnen) Waren in identischer, zumindest aber ähnlicher Weise benützen.
Das LG hat die einstweilige Verfügung am 15.5.2006 antragsgemäß erlassen und den Streitwert auf 200.000 EUR festgesetzt.
In der nach Widerspruchseinlegung der Antragsgegnerinnen durchgeführten mündlichen Verhandlung haben die Parteien den Rechtsstreit ohne Stellung von Anträgen übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerinnen haben den Kostenantrag der Antragstellerin anerkannt. Das LG hat daraufhin den Antragsgegnerinnen die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert ohne nähere Begründung auf 50.000 EUR reduziert.
Der Wert des Schutzrechtes der Antragstellerin ergebe sich aus den Umsätzen, die die Antragstellerin seit 17.1.2004 mit ihren Produkten erzielt habe. Nahezu die Hälfte aller Produkte sei mit der inzwischen markenrechtlich geschützten Kennzeichnung versehen worden. Die Antragsgegnerinnen hätten mit besonderer Unverfrorenheit gehandelt und ihrerseits erhebliche Umsätze mit ihren rechtswidrig gekennzeichneten Waren erzielt. Im Übrigen habe das LG nicht berücksichtigt, dass der Antragstellerin zwei Antragsgegnerinnen gegenüber stünden, für die jeweils ein eigener Streitwert festzusetzen sei. Der frühere Gesamtstreitwert von 200.000 EUR sei auf jeden Fall angemessen, liege sogar am unteren Rand.
Die Antragsgegnerinnen ihrerseits verweisen auf einen Beschluss des BGH vom 16.3.2006, nach dem in Markensachen der Streitwert grundsätzlich auf 50.000 EUR festzusetzen sei. Im Übrigen hätten die Antragsgegnerinnen schon vor Durchführung der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 9.8.2006 der von Antragstellerin abgegebenen Erledigungserklärung zugestimmt. Deshalb sei für den Streitwert nur noch das Kosteninteresse maßgeblich, welches für beide Antragsgegnerinnen bei je 10.000 EUR liege. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern an der Festsetzung des Streitwertes auf 50.000 EUR mit folgender Begründung festgehalten:
Der BGH habe in seinem Beschluss vom 16.3.2006 das Interesse des Markeninhabers in einem Löschungsverfahren mit 50.000 EUR bewertet. Während Gegenstand des Löschungsverfahrens der Bestand der Marke sei, wende sich der Markeninhaber im Verletzungsverfahren nur gegen die Beeinträchtigung seines Rechts. Eigentlich seien im Verletzungsverfahren die Interessen des Markeninhabers deshalb sogar geringer zu bewerten. Auch entspreche es der ständigen Rechtsprechung des LG, im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Abschlag von 1/3 des Hauptsachewertes vorzunehmen, so dass der Streitwert nach dem vom BGH nun neu vorgegebenen Regelstreitwert von 50.000 EUR sogar noch auf 33.000 EUR hätte reduziert werden müssen. Nur wegen der von der Antragstellerin genannten Argumente (intensive Benutzung, überdurchschnittlich hohe Umsätze in den zurückliegenden Jahren mit ihrer Marke) habe das LG den Streitwert dann doch wieder auf 50.000 EUR erhöht. Der ursprünglich festgesetzte Streitwert von 200.000 EUR habe der bisherigen Spruchpraxis der Kammer zu Streitwerten in Markensachen entsprochen, nun orientiere sie sich jedoch am Urteil des BGH vom 16.3.2006. Der Umstand, dass neben der Antragsgegnerin zu 1) auch deren Geschäftsführerin als Antragsgegnerin zu 2) verklagt worden sei, führe nicht zu einer weiteren Erhöhung des Streitwertes. Es liege nämlich in der Natur der Sache, dass unerlaubte Handlungen nicht von einer juristischen Person selbst, sondern nur von den für sie handelnden natürlichen Personen verübt werden könnten. Aus diesem Grunde werde das Interesse der Antragstellerin an der Unterbindung weiterer Verletzungen ihrer Markenrechte nicht dadurch erhöht, dass die Antragsgegnerin zu 1) eine Geschäftsführerin habe, für deren organschaftliches Handeln sie hafte.
II. Die sofortige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin hat nur teilweisen Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Der Ausgangspunkt des Erstgerichts, nämlich auf Grund der Entscheidung des BGH vom 16.3.2006 (BGH v. 16.3.2006 – I ZB 48/05, GRUR 2006, 704 = Mitt. 2006, 282) in Markenrechtsverletzungsverfahren einen Regelstreitwert von 50.000 EUR festzusetzen, wird vom Beschwerdegericht nicht geteilt.
Dem Beschluss des BGH, in dem von „Gegenstandswert“ gesprochen wird, ist zu entnehmen, dass Ausgangspunkt ein Beschwerdeverfahren wegen einer beim DPMA beantragten Löschung einer Marke war, nicht aber ein markenrechtliches Verletzungsverfahren nach § 14 MarkenG vor den ordentlichen Gerichten. Im genannten Beschluss des BGH heißt es wörtlich: „Maßgeblich für die Festsetzung des Gegenstandswertes ist das wirtschaftliche Interesse des Markeninhabers an der Aufrechterhaltung seiner Marke. Dieses Interesse bemisst der Senat im Regelfall mit 50.000 EUR. Auf das Interesse des Inhabers der Widerspruchsmarke an der Löschung des prioritätsjüngeren Zeichens und gewerblichen Bedeutung der Widerspruchsmarke kommt es nicht an.“
Im hier anhängigen Verletzungsverfahren, welches auf eine Unterlassung der Benutzung einer bestimmten Kennzeichnung durch den jeweiligen Prozessgegner gerichtet ist, bestimmt jedoch nicht das wirtschaftliche Interesse des Verletzers, seine Kennzeichnung weiter benutzen zu dürfen, den Streitwert. Maßgebend ist vielmehr allein das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen wegen der Kennzeichenverletzung. Dieses wirtschaftliche Interesse wird grundsätzlich durch zwei Faktoren bestimmt, nämlich durch den wirtschaftlichen Wert des verletzten Kennzeichenrechts und zweitens durch das Ausmaß und der Gefährlichkeit der Verletzungshandlung (= sog. Angriffsfaktor).
2. Das Erstgericht ist nun offensichtlich der Meinung, dass dem Beschluss des BGH vom 16.3.2006 nun neuerdings zu entnehmen sei, dass es einen Regelstreitwert oder Regelwert von 50.000 EUR auch für den Streitwert im Verletzungsverfahren gebe. Dem ist jedoch nicht zu folgen: Die Rechtsprechung des BPatG, bzw. des BGH, im Beschwerdeverfahren wegen Löschung einer Marke einen Regelstreitwert anzusetzen, ist keineswegs neu (s. Beschluss des BPatG vom 23.6.1998 in BPat v. 23.6.1998 – 24 W (pat) 228/97, GRUR 1999, 64 f. mit Hinweisen auf die „historische Entwicklung“ des Regelstreitwerts). Neu ist lediglich die Anhebung dieses Regelstreitwertes auf 50.000 EUR. In der Rechtsprechung der OLG und der Kommentarliteratur finden sich jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass der in einem Löschungsbeschwerde- verfahren vor dem BPatG, bzw. dem BGH angesetzte Regelstreitwert irgendeine Bedeutung für die Festsetzung des Streitwertes in einem streitigen Verletzungsverfahren haben soll. Zusammenfassend ist auf Ingerl/Rohnke, Markenrecht, 2. Aufl., § 142 MarkenG, Rdn. 10 zu verweisen, wo es heißt: „Regelstreitwerte sind auch in Kennzeichenstreitsachen unvereinbar mit §§ 3, 12 b GKG entspricht nun der neu gefasste § 51 GKG.“ Auch wird im Beschluss des BGH vom 16.3.2006, worauf das BPatG in seinem späteren Beschluss vom 7.8.2006 (BPatG vom 7.8.2006 – 25W (pat) 73/04, GRUR 2007, 176) hinweist, keine Begründung für die Ansetzung eines Regelstreitwertes gerade auf den Betrag von 50.000 EUR gegeben. Im Übrigen ist die vom BGH zu entscheidende tatsächliche Ausgangssituation für die Festsetzung eines Regelstreitwertes nach § 51 GKG geht, nicht direkt übertragbar. Denn im Beschluss vom 16.3.2006 ging es laut mitgeteilten Gründen allein um einen Gegenstandwert nach § 32 Abs. 1 RVG. Im Gegensatz zu § 51 GKG kennt § 32 RVG jedoch Regelstreitwerte und nicht nur das „billige Ermessen“ nach § 51 GKG. Dass der wirtschaftliche Wert einer Marke regelmäßig mit 50.000 EUR anzusetzen ist, gilt damit für das Verletzungsverfahren nicht. Der Streitwert im Verletzungsverfahren richtet sich deshalb nach wie vor nach billigem Ermessen ohne irgendwelche Bindung an Regelstreitwerte.
III. Die Streitwertbemessung bei Unterlassungsklagen wegen Kennzeichenverletzungen wird durch zwei Faktoren bestimmt, nämlich erstens durch den wirtschaftlichen Wert des verletzten Kennzeichenrechts und zweitens durch das Ausmaß und die Gefährlichkeit der Verletzung, den sog. „Angriffsfaktor“ (Nachweise s. bei Ingerl/Rohnke, a.a.O.)
1. Bei der Bemessung des wirtschaftlichen Interesses der Antragstellerin an der Durchsetzung ihres Unterlassungsanspruches konnte nicht uneingeschränkt auf ihre Angaben zu den Umsätzen aus den Jahren 2004 und 2005 zurückgegriffen werden. Denn die Antragstellerin stützt ihre Unterlassungsklage markenrechtlich auf ein Schutzrecht, welches erst im Jahr 2006 als Marke eingetragen worden ist. Erst ab diesem Zeitpunkt sind ihre unter der entsprechenden Kennzeichnung auf den Markt gebrachten Waren überhaupt markenrechtlich gestützt. Der Hinweis auf getätigte Umsätze kann allerdings als Argument dafür herangezogen werden, dass für die tatsächliche Nutzung der Marke ein bereits eingespielter Geschäftsbetrieb zur Verfügung steht.
2. Bei den von den Antragsgegnerinnen ausgehenden Angriffsfaktoren ist allerdings dieses zeitliche Argument uneingeschränkt zu berücksichtigen, nämlich dass ihr Angriff markenrechtlich erst seit Januar 2006 relevant ist. Der Senat übersieht nicht, dass die Antragstellerin durch ihr schnelles Eingreifen den von den Antragsgegnerinnen ausgehenden Angriffsfaktor für die Zukunft sofort unterbunden hat. Allerdings fehlt es an einem wirklich verwertbaren Sachvortrag der Antragstellerin zu den für die Streitwertfestsetzung relevanten Punkten für eine Streitwertfestsetzung im Löschungsverfahren (Nachweise s. bei Ingerl/Rohnke, a.a.O., § 142 MarkenG, Rdn. 8), die den von den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin angestrebten Streitwert rechtfertigen könnten. Die von den Antragstellerin auf S. 21 und 22 ihre Antragsschrift aufgeführten rechtlichen Argumente sind dafür nicht geeignet, dienten die dort genannten Punkte doch ausschließlich der Rechtsverteidigung der Antragsgegnerinnen im anhängigen Verletzungsverfahren. Eine Erhöhung des Angriffsfaktors ist damit nicht verbunden.
3. Auch auf Bl. 4 der Beschwerdeschrift i.V.m. B. 18 ff. der Antragsschrift ist der von der Antragstellerin geschilderte drohende Verletzungsumfang durch die Antragsgegnerinnen keineswegs von einem solchen Ausmaß, dass er eine Festsetzung eines Hauptsachewertes auf weit über 100.000 EUR oder auf die für von der Antragstellerin genannten 200.000 EUR rechtfertigen würde. Schließlich ist hier auch zu berücksichtigen, dass ein einstweiliges Verfügungsverfahren vorliegt. Es besteht der zivilrechtliche Grundsatz, bei solchen Verfahren einen geringeren Streitwert als für das Hauptsacheverfahren anzusetzen (s. Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 3 Rdn. 16, Stichwort „einstweilige Verfügung“). Auch wenn im gewerblichen Rechtsschutz wegen der Möglichkeit der sog. Abschlusserklärung mit Hilfe eines einstweiligen Verfügungsverfahrens häufig eine endgültige Erledigung erreicht wird, ist dies ein außerhalb des eigentlich prozessualen Verfahrens liegender zusätzlicher tatsächlicher Umstand, der nicht berücksichtigt werden darf (so Teplitzky, wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Rdn. 27 zu § 49). Einen Streitwert von 70.000 EUR bezogen auf die Antragsgegnerin zu 1) berücksichtigt die Interessen der Antragstellerin ausreichend.
4. Die Tatsache, dass hier der Antragstellerin noch eine zweite Antragsgegnerin gegenübersteht, erfordert die Festsetzung von zwei Streitwerten auf der Antragsgegnerseite. Das Interesse der Antragstellerin an der Rechtsverfolgung hinsichtlich dieser Antragsgegnerin, die Geschäftsführerin der in Form eine GmbH betriebenen Antragsgegnerin zu 1) ist, ist zu unterscheiden von dem Interesse an der Verfolgung der GmbH. Denn im Vordergrund steht das Interesse der Antragstellerin an der Unterbindung der Verletzung durch das Unternehmen selbst, also der GmbH (s. insoweit Ahrens, der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Rdn. 61 zu § 49). Es liegen insoweit auch zwei Streitgegenstände vor, da es sich um höchstpersönliche Ansprüche handelt (s. Ahrens, a.a.O., Rdn. 60 zu Kapitel 40). Für zwei Streitgegenstände sind auch zwei Einzelstreitwerte festzusetzen, es genügt nicht nur der vom Erstgericht ohne nähere Begründung genannte „Erhöhungsfaktor“ für einen Streitwert. Der Streitwert bezogen auf die Antragsgegnerin zu 2) ist niedriger als der für die Antragsgegnerin zu 1) anzusetzen, es wird insoweit auf die oben genannten Ausführungen Bezug genommen. Ein Streitwert von 30.000 EUR genügt.
5. Zutreffend ist der Hinweis der Antragsgegnerinnen, dass nach einer übereinstimmenden Erledigungserklärung nur noch die bis dahin angefallenen Kosten den Streitwert bestimmen ( Zöller, a.a.O., § 3 ZPO, Stichwort „Erledigung der Hauptsache: Übereinstimmende Erledigungserklärung“). Es steht dem Beschwerdegericht, welches mit der Sache befasst ist, frei, den Streitwert von Amts wegen deshalb zu reduzieren.
Der Beschwerde war insgesamt nur teilweise stattzugeben.