Link mit Marke
OLG Nürnberg, Endurteil vom 15.02.2022, Az. 3 U 2794/21
§ 3 ZPO, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, § 242 BGB, § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 MarkenG
Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass sich der beschreibende Charakter einer Marke in erster Linie aus dem Sinngehalt der betreffenden Bezeichnung ergibt. Zusätzlich sei jedoch auch der Kontext, in der die gerügte Benutzungshandlung erfolgte, insbesondere die Einbettung des Zeichens in sein Umfeld, zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sollte in der Verwendung der URL www.kardiologie-mit-herz.de/aktuelles/bewegte-medizin eine Markenverletzung zu Lasten der Wortmarke „Bewegte Medizin“ ergeben. Dies lehnte der Senat ab. 1. Zwar könne in der Benutzung eines Domainnamens eine kennzeichenmäßige Verwendung liegen, wenn der Verkehr darin keine bloße Adressbezeichnung, sondern den Hinweis auf das Unternehmen oder auf die betriebliche Herkunft von Waren oder Dienstleistungen sehe. Und Domainnamen, die zu einer aktiven, im geschäftlichen Verkehr verwendeten Homepage führten, käme in der Regel neben der Adressfunktion eine kennzeichnende Funktion zu. Bei einem derartigen Domainnamen sei daher davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehr den Domainnamen als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der unter dieser Domain vorgehaltenen Dienstleistungsangebote verstehen werde. Dagegen liege bei der Verwendung eines Zeichens in der URL (uniform resource locator) als Post-Domain-Pfad regelmäßig keine kennzeichenmäßige Verwendung vor. Es gebe keine vernünftigen Anhaltspunkte dafür, dass Internetnutzer Angaben in einer Internetadresse, die sich an den Namen der Top-Level-Domain anschließen auch herkunftshinweisende Bedeutung beimessen würden. Eine andere Beurteilung könne veranlasst sein, wenn – wie bei der für jeden erkennbaren Nennung einer vollständigen Unternehmensbezeichnung in der URL – der Verwendung nach den konkreten Umständen aus der Sicht des Nutzers eine Kennzeichenfunktion zukomme. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Nürnberg
Urteil
…
1. Auf die Berufung des Beklagten werden das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.07.2021, Az. 19 O 172/21, abgeändert und die vom Landgericht verbeschiedenen Klageanträge abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert für das Verfahren in erster Instanz wird auf 12.500,00 € und für das Berufungsverfahren auf 1.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
A.
1
Der Kläger zu 2) ist als niedergelassener Arzt Inhaber zweier Praxen. Die Kläger sind u.a. Inhaber der für mehrere Waren- und Dienstleistungsklassen – darunter die Klasse 41 (Erziehung; Unterhaltung; Ausbildung, insbesondere Fort- und Weiterbildung im medizinischen Bereich aller Art für Ärzte, medizinisches Hilfspersonal und/oder Patienten […]) – eingetragenen nationalen Wortmarke „Bewegte Medizin“, Urkundennummer […], (nachfolgend Klagemarke) und Unionswortmarke „Bewegte Medizin“, Urkundennummer […].
2
Der Beklagte ist als Facharzt für Kardiologie sowie Innere Medizin tätig und Betreiber der Webseite www.kardiologie-mit-herz.de. Er hielt am 18.07.2019 einen Vortrag in Regensburg. Eine Zusammenfassung dieses Vortrags stellte er mit folgendem Text auf die unter der URL www.kardiologie-mit-herz.de/aktuelles/bewegte-medizin abrufbare Unterseite seiner Homepage:
Die Bedeutung von Bewegung und Gesundheitsvorsorge
Bewegte Medizin
Medizinischer Vortrag in Regensburg
Im Rahmen eines Informationsforums zur privaten Krankenversicherung der T. AG in Regensburg sorgten PD Dr. P. und […] für den aktiven Part; nach einem medizinischen Vortrag von Dr. P. zur großen Bedeutung von Bewegung und Gesundheitsvorsorge in der Arztpraxis leitete […] die Zuhörer an, wie man mit Hilfe eines einfachen Expanders effektiv den Büroalltag durch effektive Pausen bereichern kann.
3
Die Kläger mahnten den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 24.07.2020 ab. Der Beklagte gab mit anwaltlichem Schreiben vom 06.08.2020 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.
4
Das Landgericht Nürnberg-Fürth erließ am 01.07.2021 das nachfolgende Teilurteil:
1. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang der Beklagte die Wortmarke „Bewegte Medizin“ benutzt und verwendet hat, und zwar unter Angabe von Ort, Zeit und Umfang einer jeden einzelnen Nutzungs- und Verwertungshandlung.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 2.238.15 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2020 zu zahlen.
5
Zur Begründung führte das Landgericht u.a. aus, dass die Kläger gemäß § 242 BGB i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 MarkenG Auskunft über den Umfang der Verletzungshandlung zur Vorbereitung der Berechnung ihres Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der klägerischen Rechte an der deutschen Wortmarke verlangen könnten. Insbesondere liege eine markenmäßige Benutzung durch die Verwendung im Rahmen der URL verbunden mit der Bewerbung des Vortrags als „Bewegte Medizin“ auf der Internetseite vor.
6
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte in seiner Berufung. Er beantragt, unter Abänderung des Teilurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.07.2021 die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Zur Begründung führt er u.a. aus, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft die Tatbestandsvoraussetzungen der markenmäßigen Benutzung bejaht habe. Außerdem sei der Auskunftsanspruch zu weit gefasst, da er über die festgestellte Rechtsverletzung hinausgehe.
7
Die Kläger verteidigen das erstinstanzliche Urteil und beantragen die Zurückweisung der Berufung. Das mit der Wortmarke identisch verwendete Zeichen des Beklagten „Bewegte Medizin“ sei von diesem für die Verlinkung und zur Bewerbung auf dessen Website und als Titel von Veranstaltungen gewerbsmäßig eingesetzt worden. Infolgedessen liege eine markenmäßige Benutzung der Wortmarke „Bewegte Medizin“ der Kläger ohne deren Zustimmung vor. Die Kläger hätten Anspruch auf Auskunft in Bezug auf alle noch nicht konkret festgestellten Verletzungshandlungen. Darüber hinaus stützen sie in der Berufung erstmals ihre markenrechtlichen Ansprüche auf die Tatsache, dass der Beklagte die klägerische Marke auch in den Title-Tag/Meta-Tag seiner Webseite übernommen habe.
8
In der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2022 nahmen die Kläger ihre Klage zurück. Der Beklagte stimmte der Klagerücknahme nicht zu.
9
Der Schriftsatz der Kläger vom 07.02.2022 lag dem Senat bei der Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
B.
10
Der Senat kann über die in der ersten Instanz verbeschiedenen Ansprüche auf Auskunft sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in der Sache entscheiden, da die Rechtshängigkeit dieser Anträge nicht durch die in der Berufungsverhandlung erklärte Klagerücknahme entfallen ist. Denn über die erste Stufe der Stufenklage – den Auskunftsanspruch – sowie die Abmahnkosten wurde in erster Instanz bereits streitig verhandelt. Die Einwilligung des Beklagten zur Klagerücknahme ist daher zu deren Wirksamkeit erforderlich, weshalb deren Verweigerung im vorliegenden Fall die Rücknahme der Klage insoweit wirkungslos macht.
11
Für die Entscheidung des Senats in der Sache ist die Möglichkeit der Erklärung der Rücknahme des Leistungsantrags der Stufenklage bis zur streitigen Verhandlung über diesen ohne rechtliche Relevanz. Denn die wirksam zurückgenommene (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 22.11.1968 – 1 U 98/68, NJW 1969, 1216) Leistungsstufe ist – da lediglich das zusprechende Teilurteil über die erste Stufe vom Beklagten angefochten wurde – in erster Instanz anhängig geblieben und aufgrund der Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO als nicht anhängig geworden anzusehen (zur Kostenentscheidung insoweit vgl. unter Ziffer D.I.2.).
C.
12
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Für die angesprochenen Verkehrskreise stellt sich die streitgegenständliche Verletzungshandlung nach Maßgabe der Rechtsprechung zur markenmäßigen Benutzung (nachfolgend unter Ziffer I.) weder aufgrund der Bewerbung des Vortrags auf der Homepage (nachfolgend unter Ziffer II.) noch unter dem Gesichtspunkt der Verwendung in der URL (nachfolgend unter Ziffer III.) oder im HTML-Code (nachfolgend unter Ziffer IV.) als Verletzung der Klagemarke dar.
I.
13
Eine beeinträchtigende Benutzung des Zeichens ist gegeben, wenn es durch Dritte markenmäßig oder – was dem entspricht – als Marke verwendet wird und diese Verwendung die Funktionen der Marke und insbesondere ihre wesentliche Funktion, den Verbrauchern die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann (BGH, Urteil vom 25.07.2019 – I ZR 29/18, GRUR 2019, 1053, Rn. 27 – ORTLIEB II). Damit die Marke nämlich ihre Aufgabe als wesentlicher Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs erfüllen kann, muss sie die Gewähr bieten, dass alle Waren oder Dienstleistungen, die sie kennzeichnet, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht worden sind, das für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann (EuGH, Urteil vom 12.11. 2002 – Rs. C-206/01, GRUR 2003, 55, Rn. 48 – Arsenal FC).
14
Maßgeblich ist, ob der angesprochene Verkehr das Zeichen auch als Hinweis auf die Herkunft der Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb versteht. Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BGH, Urteil vom 11.04.2019 – I ZR 108/18, GRUR 2019, 1289, Rn. 25 – Damen Hose MO). Abzustellen ist auf die Sicht eines normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (BGH, Urteil vom 09.02.2012 – I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 16 – pjur/pure). Die Tatsache, dass ein Zeichen vom angesprochenen Verkehr als Herkunftshinweis für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen und damit als Marke erkannt wird, muss anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (BGH, Urteil vom 07.03.2019 – I ZR 195/17, GRUR 2019, 522, Rn. 41 – SAM).
II.
15
Im vorliegenden Fall sieht der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher – wie die Mitglieder des Senats als Teil der angesprochenen Verkehrskreise selbst feststellen können – die angegriffene Benutzung auf der Homepage des Beklagten nicht als einen Hinweis auf die Herkunft einer Dienstleistung. Für den Senat ist es unter Berücksichtigung der nachfolgend dargestellten maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vielmehr fernliegend, dass die angesprochenen Verkehrskreise beim Lesen des streitgegenständlichen Hinweises auf den in Regensburg gehaltenen Vortrag davon ausgehen, dass dieser Vortrag in Verbindung mit den Klägern als Markeninhabern steht und deshalb mit dem angegriffenen Zeichen einen Herkunftshinweis verbinden.
16
1. Ein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Umstand ist die Tatsache, dass die Wortkombination „Bewegte Medizin“ im Rahmen der konkreten Benutzung deutlich beschreibende Anklänge hat.
17
a) Bei dem Gebrauch einer beschreibenden Angabe kann eine markenmäßige Benutzung grundsätzlich nicht angenommen werden (BGH, Urteil vom 22.01. 2009 – I ZR 139/07, GRUR 2009, 502, Rn. 29 – pcb). Denn bestimmte Arten der Benutzung zu rein beschreibenden Zwecken können keine Funktionen der geschützten Marke beeinträchtigen (EuGH, Urteil vom 18.06.2009 – C-487/07, GRUR 2009, 756, Rn. 61 – L’Oréal/Bellure). Hat ein Wort beschreibenden Charakter, wird es vom Verkehr eher als Sachhinweis und nicht als Kennzeichen aufgefasst (BGH, Teilurteil vom 03.11.2016 – I ZR 101/15, GRUR 2017, 520, Rn. 26 – MICRO COTTON). Dabei ergibt sich der beschreibende Charakter in erster Linie aus dem Sinngehalt der betreffenden Bezeichnung. Maßgeblich für die Frage, ob der Verkehr das Zeichen nur beschreibend versteht, ist jedoch auch der Kontext, in der die gerügte Benutzungshandlung erfolgte.
18
b) Im vorliegenden Fall ist der Gesamtbegriff „Bewegte Medizin“ zwar nicht rein beschreibend, sondern weist – wie auch die Eintragung als Marke zeigt – aufgrund der vom Wortlaut keinen Sinn ergebenden Kombination insgesamt Unterscheidungskraft auf. Für die angesprochenen Verkehrskreise enthält er jedoch wegen seiner Einzelbestandteile, die für das Verkehrsverständnis nicht völlig außer Acht gelassen werden dürfen, deutlich beschreibende Anklänge.
19
Zwar nimmt der Durchschnittsverbraucher eine Marke regelmäßig als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten. Dieser Gesamteindruck wird jedoch geprägt durch die Bestandteile des zusammengesetzten Zeichens. Und im vorliegenden Fall handelt sich bei diesen Einzelbestandteilen – „Bewegte“ und „Medizin“ – um unmittelbar beschreibende Sachaussagen für den darunter veröffentlichten Beitrag zum medizinischen Vortrag des Beklagten. Denn der auf der Website vorgestellte Vortrag des Beklagten setzt sich mit der medizinischen Bedeutung von Bewegung auseinander. Und die Einzelbegriffe „Bewegung“ bzw. „bewegen“ und „Medizin“ sind für diese Thematik als Zusammenfassung des Inhalts aus der Sicht des Verkehrs beschreibend.
20
Aber auch in der Verknüpfung der Einzelbestandteile zur Kombination „Bewegte Medizin“ entnehmen die angesprochenen Verkehrskreise im konkreten Verwendungsfall – insbesondere vor dem Hintergrund des unmittelbaren räumlichen Zusammenhangs zwischen der Zeichenverwendung und der Beschreibung der Veranstaltung – einen Bezug zum Inhalt des gehaltenen Vortrags und können somit das Zeichen als Thematisierung der Bedeutung körperlicher Bewegung im Büroalltag verstehen. Die beschreibenden Angaben der einzelnen Worte erfahren durch die Kombination vor diesem Hintergrund nicht eine ungewöhnliche Änderung, die derart weit von der Sachangabe wegführt (vgl. BGH, Beschluss vom 15.05.2014 – I ZB 29/13, GRUR 2014, 1204, Rn. 16 – DüsseldorfCongress), dass die deutlich beschreibenden Anklänge in Wegfall geraten würden.
21
2. Ein weiterer im Rahmen der Gesamtwürdigung zu beachtender Umstand ist das durch die Art und Weise der Zeichenverwendung hervorgerufene Gesamterscheinungsbild der streitgegenständlichen Anzeige, insbesondere die konkrete Gestaltung der Internetseite.
22
a) Die Verkehrsauffassung wird auch durch die konkrete Aufmachung bestimmt, in der die angegriffene Bezeichnung dem Publikum entgegentritt (BGH, Urteil vom 09.02.2012 – I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 19 – pjur/pure). Maßgeblich für die Frage der markenmäßigen Benutzung ist, wie der Verkehr die beanstandete Verwendung des Zeichens auf der Internetseite versteht (OLG Köln, Urteil vom 24.10.2014 – 6 U 211/13, GRUR 2015, 596, Rn. 35 – Kinderstube). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine kennzeichenmäßige Benutzungshandlung vorliegt, ist somit die Einbettung des Zeichens in sein Umfeld.
23
Eine blickfangmäßige Herausstellung oder die Verwendung eines Zeichens im Rahmen der Produktkennzeichnung spricht für eine markenmäßige Verwendung (BGH, Teilurteil vom 03.11.2016 – I ZR 101/15, GRUR 2017, 520, Rn. 26 – MICRO COTTON). Erfolgt die Bezeichnung auf dem Produkt in schriftbildlich hervorgehobener und blickfangmäßiger Weise nach Art einer Marke und an einer Stelle, an der eine Produktkennzeichnung erwartet wird, fassen beachtliche Teile des angesprochenen Verkehrs die Bezeichnung als Herkunftshinweis auf (BGH, Urteil vom 09.02.2012 – I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 19 – pjur/pure).
24
Dagegen stellt eine rein titelmäßige Verwendung eines Zeichens regelmäßig keine markenmäßige Benutzung dar. Denn Werktitel dienen grundsätzlich nur zur Unterscheidung eines Werkes von einem anderen Werk; einen Hinweis auf den Hersteller oder Inhaber des Werkes – und damit auf eine bestimmte betriebliche Herkunft – ist ihnen in der Regel nicht zu entnehmen (BGH, Beschluss vom 17.10.2013 – I ZB 65/12, GRUR 2014, 483, Rn. 29 – test). Nur im Falle periodisch erscheinender Druckschriften oder Fernsehserien, die über eine hinreichende Bekanntheit verfügen, kommt einem Werktitel ein weitergehender Schutz gegen die Gefahr der betrieblichen Herkunftstäuschung zu (BGH, Urteil vom 28.04.2016 – I ZR 254/14, GRUR 2016, 1300, Rn. 22, 41 – Kinderstube). Titel von Einzelwerken vermitteln eine derartige Vorstellung hingegen regelmäßig nicht (OLG München, Urteil vom 09.06.2011 – 29 U 79/11, GRUR-RR 2011, 466, juris-Rn. 35 – Moulin Rouge Story I).
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b) Im vorliegenden Fall gehen die angesprochenen Verkehrskreise der streitgegenständlichen Unterseite der Homepage des Beklagten davon aus, dass die angegriffene Bezeichnung der Titel eines in Regensburg gehaltenen, medizinischen Vortrags ist, dass also die Darstellung nach Art eines Werktitels erfolgte. Für eine inhaltsbezogene Verwendung ähnlich einem Werktitel spricht insbesondere, dass die Wortkombination „Bewegte Medizin“ als „Hauptüberschrift“ in einen Artikel, welcher den gehaltenen Vortrag näher beschreibt, eingefügt ist.
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Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb veranlasst, weil die Wortkombination „Bewegte Medizin“ in leicht größerer Schrift als die vorangegangene Angabe „Die Bedeutung von Bewegung und Gesundheitsvorsorge“ und die nachfolgende Beschreibung „Medizinischer Vortrag in Regensburg“ dargestellt ist. Denn der Verkehr geht aufgrund dieser optischen Hervorhebung davon aus, dass die angegriffene Bezeichnung den schlagwortartigen Haupttitel der in dem Beitrag beschriebenen Veranstaltung darstellt, und die anderen Angaben – wie bei einem Vortrag üblich – im Wege von Zwischenüberschriften weitere Erläuterungen beinhalten.
27
c) Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise der Verwendung eines Zeichens nach Art eines Werktitels eine herkunfthinweisende Bedeutung zukommt, sind vorliegend nicht gegeben.
28
Zum einen handelt es sich bei der angegriffenen Verwendung nicht um eine periodisch erscheinende Druckschrift oder bekannte Fernsehserie, bei denen die Rechtsprechung einer werktitelmäßigen Verwendung ausnahmsweise einen weitergehenden Schutz gegen die Gefahr der betrieblichen Herkunftstäuschung zusprach, sondern nach dem Wortlaut der Anzeige um die Beschreibung eines (einmaligen) medizinischen Vortrags in Regensburg. Wissenschaftliche Vorträge werden jedoch üblicherweise nicht mit Marken versehen. Vielmehr bezieht sich gerichtsbekannt der Titel eines Vortrags in der Regel auf dessen Inhalt und nicht auf dessen Herkunft.
29
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Webseite www.kardiologie-mit-herz.de, auf welcher die streitgegenständliche Zeichenverwendung erfolgte, vor allem der Vorstellung der Person des Beklagten und der Darstellung seiner Dienstleistungen dient. Vor diesem Hintergrund und bei Beachtung des Textes zum Inhalt des medizinischen Vortrags in Regensburg wird für den durchschnittlichen Verbraucher als Leser der Homepage ohne weiteres ersichtlich, dass mit dem streitgegenständlichen Interneteintrag keine Verbindung zwischen den Klägern als Inhaber der Marke und den Dienstleistungen des Beklagten hergestellt werden sollte.
30
d) Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Vortrag in Regensburg tatsächlich unter der Bezeichnung „Bewegte Medizin“ gehalten wurde, kommt es nicht an. Denn selbst wenn – worauf die Kläger nunmehr in der Berufung abstellen – der Vortrag damals einen anderen Titel als „Bewegte Medizin“ hatte, stellt sich dies in dem – hier allein maßgeblichen – angegriffenen Internetbeitrag anders dar. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Leser der Werbeanzeige aufgrund anderer Umstände Kenntnis von dem tatsächlichen Titel des gehaltenen Vortrags hatte und aufgrund dessen der hier streitgegenständlichen Verwendung keine Benutzung des Zeichens nach Art eines Werktitels beimessen würde.
31
3. Bei der Frage der Geeignetheit zur Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion darf schließlich die Tatsache der fehlenden Bekanntheit der Klagemarke nicht vernachlässigt werden.
32
a) Bei nicht-traditionellen Markenformen kommt es bei der Beurteilung der rechtsverletzenden Benutzung auch darauf an, wie bekannt das Klageform- oder -farbzeichen ist (Hacker, in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 166). So hängt die Frage, ob der Verkehr ein Motiv nur als dekoratives Element oder (auch) als Herkunftshinweis auffasst, (auch) von der Kennzeichnungskraft und dem Bekanntheitsgrad der Klagemarke ab (BGH, Urteil vom 24.11.2011 – I ZR 175/09, GRUR 2012, 618, Rn. 24 – Medusa). Auch bei dreidimensionalen Marken kann aus dem Umstand, dass ein erheblicher Teil der Verkehrskreise das dargestellte Produkt nur einem bestimmten Unternehmen zuordnet, grundsätzlich auf die Bekanntheit der Warenform auch als Herkunftshinweis geschlossen werden (BGH, Beschluss vom 09.07.2009 – I ZB 88/07, GRUR 2010, 138, Rn. 34 – ROCHER-Kugel). Gleiches gilt bei abstrakten Farbmarken (BGH, Beschluss vom 09.07.2015 – I ZB 65/13, GRUR 2015, 1012, Rn. 34 – Nivea-Blau).
33
b) Diese Maßstäbe lassen sich auf die angegriffene Bezeichnung übertragen. Zum einen handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz, dass der Verkehr einem Kollisionszeichen eher eine kennzeichnende Funktion beimisst, wenn die Klagemarke über eine gesteigerte Kennzeichnungskraft verfügt (BGH, Urteil vom 23.09.2015 – I ZR 78/14, GRUR 2015, 1201, Rn. 93 – Sparkassen-Rot). Zum anderen handelt es sich auch bei der streitgegenständlichen Benutzung um die Verwendung einer Wortkombination mit deutlich beschreibenden Anklängen, die ähnlich einem Werktitel auf einen konkret gehaltenen Vortrag Bezug nimmt. Da auch in diesem Fall – ähnlich wie bei dreidimensionalen Marken oder Farbmarken – eine markenmäßige Benutzung nur ausnahmsweise in Betracht kommt, setzt die positive Feststellung, dass das Zeichen vom angesprochenen Verkehr als Herkunftshinweis erkannt wird, eine gewisse Bekanntheit der Klagemarke voraus. Allenfalls unter dieser Voraussetzung könnten die Besucher der Website www.kardiologie-mit-herz.de sowie potentielle Seminarteilnehmer die Vorstellung haben, dass der Vortrag in Verbindung mit den Klägern steht.
34
Es ist im vorliegenden Fall weder dargetan noch ersichtlich, dass die Klagemarken eine gewisse Bekanntheit genießen. Dies spricht dagegen, dass der Verkehr die angegriffene Verwendung als Herkunftshinweis auffasst.
III.
35
Der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher sieht – wie die Mitglieder des Senats als Teil der angesprochenen Verkehrskreise selbst feststellen können – auch in der Verwendung der URL „www.kardiologie-mit-herz.de/aktuelles/ bewegte-medizin“ keinen Herkunftshinweis.
36
1. In der Benutzung eines Domainnamens kann eine kennzeichenmäßige Verwendung liegen, wenn der Verkehr darin keine bloße Adressbezeichnung, sondern den Hinweis auf das Unternehmen oder auf die betriebliche Herkunft von Waren oder Dienstleistungen sieht. An einer kennzeichenmäßigen Verwendung der angegriffenen Bezeichnung kann es dagegen fehlen, wenn sie vom Verkehr als beschreibende Angabe und nicht als Hinweis auf ein Unternehmen oder auf eine bestimmte betriebliche Herkunft der im Zusammenhang mit der Bezeichnung angebotenen Produkte verstanden wird (BGH, Urteil vom 13.03.2008 – I ZR 151/05, GRUR 2008, 912, Rn. 19 – Metrosex). Allerdings kommt Domainnamen, die zu einer aktiven, im geschäftlichen Verkehr verwendeten Homepage führen, in der Regel neben der Adressfunktion eine kennzeichnende Funktion zu (BGH, Urteil vom 02.10.2012 – I ZR 82/11, GRUR 2013, 638, Rn. 27 – Völkl). Bei einem derartigen Domainnamen ist daher davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehr den Domainnamen als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der unter dieser Domain vorgehaltenen Dienstleistungsangebote verstehen wird (OLG Köln, Urteil vom 24.10.2014 – 6 U 211/13, GRUR 2015, 596, Rn. 36 – Kinderstube).
37
Dagegen liegt bei der Verwendung eines Zeichens in der URL (uniform resource locator) als Post-Domain-Pfad regelmäßig keine kennzeichenmäßige Verwendung vor. Es gibt keine vernünftigen Anhaltspunkte dafür, dass Internetnutzer Angaben in einer Internetadresse, die sich an den Namen der Top-Level-Domain anschließen auch herkunftshinweisende Bedeutung beimessen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2006 – 20 U 195/05, GRUR-RR 2006, 265, juris-Rn. 20 – Post-DomainPfad). Eine andere Beurteilung kann veranlasst sein, wenn – wie bei der für jeden erkennbaren Nennung einer vollständigen Unternehmensbezeichnung in der URL – der Verwendung nach den konkreten Umständen aus der Sicht des Nutzers eine Kennzeichenfunktion zukommt (OLG Hamburg, Beschluss vom 02.03.2010 – 5 W 17/10, GRUR-RR 2010, 476, juris-Rn. 8 ff. – Kennzeichen in URL).
38
2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs entnimmt im vorliegenden Fall der angesprochene Verkehr der verwendeten URL keinen Hinweis auf die Herkunft der Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb.
39
a) Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Begriffskombination „Bewegte Medizin“ nicht als Domainname, sondern als Teil des nachfolgenden Verzeichnispfads – im Anschluss an den der Top-Level-Domain nachfolgenden Begriff „/aktuelles/“ – verwendet wurde. Daher versteht der angesprochene Verkehr die Bezeichnung „Bewegte Medizin“ nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der unter der Domain www.kardiologie-mit-herz.de vorgehaltenen Dienstleistungsangebote.
40
Wie die Bezeichnung „Pfad“ bereits nahelegt, erfüllt dieser eine rein richtungsweisende Funktion und stellt eine Art Inhaltsverzeichnis der verschiedenen Ebenen der Website dar. Dies zeigt sich bereits daran, dass sich der Pfad – im Gegensatz zur feststehenden Domain – mit Aufruf einer neuen Unterseite verändert. Deshalb nimmt der angesprochene Verkehr den an die Domain anschließenden Pfad lediglich als Darstellung darüber wahr, wie die Daten der besuchten Internetseite innerhalb des Hostrechners organisiert sind.
41
b) Zwar kann im Einzelfall auch der Verwendung eines Zeichens in der URL im Anschluss an den Domainnamen aus der Sicht des Nutzers eine Kennzeichenfunktion zukommen. Diese Voraussetzungen sind jedoch vorliegend nicht gegeben. Zum einen ist für den Durchschnittsverbraucher nicht erkennbar, dass es sich bei der Wortkombination „Bewegte Medizin“ um ein markenrechtlich geschütztes Zeichen handelt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Begriffskombination nicht im räumlich unmittelbaren Zusammenhang zum Domainnamen steht, sondern vielmehr als Unterpunkt an die Rubrik „aktuelles“ anschließt. Durch diesen Einschub ist dem Betrachter klar, dass es sich um einen Beitrag unter einer bestimmten Rubrik – hier „Aktuelles“ bzw. sinngemäß aktuelle Meldungen und Artikel – handelt. Schließlich können die bereits erwähnten Umstände wie die beschreibenden Anklänge der Wortkombination „Bewegte Medizin“ im Rahmen der konkreten Benutzung (dazu unter Ziffer C.II.1) und die fehlende Bekanntheit der Klagemarke (dazu unter Ziffer C.II.3) nicht außer Acht gelassen werden.
42
Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger lässt sich auch aus der von ihnen zitierten Entscheidung des OLG Hamburg (Beschluss vom 02.03.2010 – 5 W 17/10, GRUR-RR 2010, 476 – Kennzeichen in URL) kein Umstand entnehmen, der als Argument für eine kennzeichenmäßige Benutzung der hier streitgegenständlichen Verwendung herangezogen werden kann. Denn für das OLG Hamburg war für die Annahme eines kennzeichenmäßigen Gebrauchs vor allem der Umstand entscheidend, dass ein Unternehmenskennzeichen verwendet wurde, welches für jeden erkennbar – aufgrund der Nennung der Rechtsform „GmbH“, aber auch aufgrund der Angabe des Geschäftsgegenstandes – eine vollständige Firmenbezeichnung darstellte. Eine solche Konstellation ist in dem hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht gegeben.
IV.
43
Eine Verletzungshandlung durch den Beklagten kann auch nicht wegen der behaupteten Nutzung des Zeichens im Rahmen eines Title-Tags bzw. Meta-Tags angenommen werden, weil das darauf gestützte streitige Vorbringen erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte und weder dargelegt noch ersichtlich ist, warum dieses Angriffsmittel nicht bereits in erster Instanz gebracht wurde.
44
1. Eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion kann anzunehmen sein, wenn ein als Suchwort verwendetes verwechslungsfähiges Zeichen als Metatag im HTML-Code dazu benutzt wird, das Ergebnis des Auswahlverfahrens in Gestalt der Trefferliste einer Internetsuchmaschine zu beeinflussen und den Nutzer auf diese Weise zu der Internetseite des Verwenders zu führen. Bei den Ergebnissen der Trefferliste wird für den Internetnutzer in der Regel nicht hinreichend deutlich, ob der Verwender eines mit einer geschützten Marke übereinstimmenden Metatags, der identische oder ähnliche Produkte anbietet, im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder vielmehr mit diesem wirtschaftlich verbunden ist. Es besteht die Gefahr, dass der Internetnutzer das Angebot in der Trefferliste auf Grund der dort gegebenen Kurzhinweise mit dem Angebot des Markeninhabers verwechselt und sich näher mit ihm befasst (BGH, Urteil vom 13.1.2011 – I ZR 46/08, MMR 2011, 608, Rn. 25 – Impuls II). Wird der Begriff im Quelltext dagegen allein in einem beschreibenden Zusammenhang verwendet, fehlt es an einer markenmäßigen Benutzung (BGH, Urteil vom 07.10.2009 – I ZR 109/06, GRUR 2009, 1167 Rn. 18 – Partnerprogramm; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.10.2016 – 6 U 17/14, GRUR-RR 2017, 60, Rn. 17 – scan2net).
45
2. Im vorliegenden Fall stützen die Kläger ihre markenrechtlichen Ansprüche erstmals mit Berufungserwiderungsschriftsatz vom 23.11.2021 auf die Tatsache, dass der Beklagte die vollständige Markenbezeichnung der Kläger auch in den Title-Tag/Meta-Tag seiner Webseite übernommen habe. Zum Beweis legten die Kläger Screenshots des Quellcodes der Bildersuche bei Bing.com (Anlagenkonvolut BB 1) vor.
46
Dem widerspricht der Beklagte. Er trägt vor, dass es sich bei dem von den Klägern beanstandeten „Title Tag“ um den anklickbaren Titel einer Website handele, der in der Ergebnisseite der Suchmaschine erscheine. Es handele sich dabei nicht um MetaTags. Außerdem sei die auf dem Anlagenkonvolut BB 1 markierte Verwendung des Zeichens von den Klägern selbst durch die Eingabe in der Suchmaschine generiert worden und nicht auf den Beklagten zurückzuführen.
47
Beide Parteien stellen ihren Vortrag unter Sachverständigenbeweis.
48
3. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO sind neue Angriffsmittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Erstmals in der Berufungsinstanz stützen die Kläger ihre markenrechtlichen Ansprüche auf eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion, da die Bezeichnung „bewegte Medizin“ als Metatag im HTML-Code verwendet worden sei. Die dieser rechtlichen Bewertung zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände sind zwischen den Parteien streitig. Bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte den Klägern die Relevanz dieser tatsächlichen Umstände bekannt sein müssen, zu deren Geltendmachung waren sie im ersten Rechtszug auch imstande
D.
49
Zu den Nebenentscheidungen sind folgende Ausführungen veranlasst:
I.
50
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
51
2. Der Senat entscheidet auch über die Kosten des wirksam zurückgenommenen Schadensersatzantrags, obwohl dieser – da lediglich das zusprechende Teilurteil über die erste Stufe vom Beklagten angefochten wurde – in erster Instanz anhängig geblieben ist.
52
Ist der Auskunftsanspruch aus Gründen zu verneinen, die auch ihrem weiteren im Rahmen der Stufenklage verfolgten Anspruch die Grundlage entziehen, hat das Berufungsgericht die Befugnis, die Stufenklage in vollem Umfang durch Endurteil abzuweisen (BGH, Urteil vom 04.04.2017 – II ZR 179/16, NJW 2017, 2675, Rn. 23). Eine Rückgabe der Sache an das Landgericht zur Entscheidung über die unerledigte Betragsstufe wäre in diesem Fall eine bloße Förmelei (BGH, Urteil vom 24.06.2008 – VI ZR 156/06, GRUR 2008, 1017, Rn. 39 – Einkaufsbummel nach Abwahl).
53
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall ebenfalls gegeben. Durch die wirksame Rücknahme der Klage hinsichtlich der Betragsstufe sind die Wirkungen der Rechtshängigkeit – mit Ausnahme der Kosten – rückwirkend entfallen. Und nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO hat grundsätzlich der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Eine Rückgabe der Sache an das Landgericht zur Entscheidung über die Kosten dieses Teils des Rechtsstreits wäre daher eine bloße Förmelei, zumal bei einer Teilklagerücknahme im Endurteil grundsätzlich einheitlich über die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden ist (Greger, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 269 Rn. 19a). Ebenso wäre über die gesamten Kosten durch Urteil zu entscheiden, wenn im Falle der Stufenklage der Beklagte nach entsprechender Verurteilung Auskunft erteilt und der Kläger danach die Zahlungsklage zurücknimmt; denn ein Beschluss nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO ist nicht zulässig, wenn über einen Teil der Klage bereits streitig entschieden worden ist (Becker-Eberhard, in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 269 ZPO Rn. 73).
II.
54
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
III.
55
Der Senat sieht keinen Anlass für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe des § 543 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch gebietet die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Revision. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Ein darüber hinausgehender abstrakt genereller Klärungsbedarf ist nicht ersichtlich. Die der tatrichterlichen Würdigung des Senats zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.
VI.
56
Der Senat setzt den Streitwert für das Verfahren in erster Instanz auf 12.500,00 € und für das Berufungsverfahren auf 1.000,00 € fest.
57
1. Den Streitwert für die erste Instanz, der sich nach dem zu schätzenden Leistungsbegehren der Betragsstufe richtet, schätzt der Senat auf 12.500,00 €.
58
a) Der Streitwert einer Stufenklage richtet sich gemäß § 44 GKG nach dem höchsten der mit der Klage verbundenen Ansprüche. Wird ein Anspruch auf Auskunft in der ersten Stufe mit einem unbezifferten Zahlungsantrag in der zweiten Stufe verbunden, ist dies regelmäßig der Leistungsantrag. Dabei ist in Bezug auf die Höhe des Leistungsanspruches auf die Vorstellungen des Klägers im Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. § 40 GKG, § 4 Abs. 1 Hs. 1 ZPO) abzustellen. Da zum Zeitpunkt der Klageeinreichung aber nicht feststeht, welchen Streitwert der Leistungsanspruch hat, ist dieser gemäß § 3 ZPO vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen (Herget, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 3 Rn. 16.160 „Stufenklage“).
59
b) Im vorliegenden Fall begehren die Kläger in der insoweit maßgeblichen zweiten Stufe, dass der Beklagte ihnen nach erfolgter Auskunft allen Schaden ersetzt, der ihnen aus der streitgegenständlichen Markenverletzung entstanden ist oder künftig noch entstehen wird. Den Streitwert für dieses Schadensersatzbegehren schätzt der Senat auf 12.500,00 €.
60
aa) Im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung sind die Vorstellungen des Klägers insoweit zu berücksichtigen, als er aufgrund seiner zur Begründung der Klage vorgebrachten Behauptungen objektiv gesehen Leistungen zu erwarten hat. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass der Streitwert sich nach dem Interesse des Klägers bestimmt, wobei die Bemessung dieses Interesses allerdings nicht im Belieben des Klägers steht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten zu erfolgen hat (OLG Köln, Beschluss vom 17.02.2014 – 19 W 43/13, juris-Rn. 15).
61
Der regelmäßig weit hinter dem Wert des Unterlassungsanspruchs zurückbleibende Streitwert für den Schadensersatzanspruch bestimmt sich nach dem voraussichtlichen Umfang der in die Schadensersatzberechnung einzubeziehenden Verletzungshandlungen, wobei hier in der Praxis häufig eine allenfalls sehr grobe Schätzung vorgenommen werden kann, die ihrerseits wiederum vom Streitwert eines parallel geltend gemachten Unterlassungsanspruchs beeinflusst sein kann, bis hin zur Praxis mancher Gerichte, die den Wert des Schadensersatzanspruchs nach einem Bruchteil des Unterlassungsanspruchs (z.B. 20 bis 25%) ansetzen (Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. 2010, § 142 Rn. 11; Rojahn/Rektorschek, in Hasselblatt, MAH Gewerblicher Rechtsschutz, 5. Aufl. 2017, § 10 Rn. 60). Der Senat nimmt in ständiger Rechtsprechung bei Nichtvorliegen näherer Anhaltspunkte bei Schadensersatzansprüchen in der Regel einen Streitwert von 1/4 des Streitwertes des Unterlassungsanspruchs an.
62
bb) Im vorliegenden Fall trugen die Kläger in der Klageschrift vor, dass der Markenwert des Zeichens „Bewegte Medizin“ für sie mindestens 50.000,00 € betrage. In der Abmahnung vom 24.07.2020, mit welcher die Kläger Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz geltend machten, setzten sie den Gegenstandswert auf insgesamt 50.000,00 € fest (Anlage K 11). Neben der streitgegenständlichen Verwendung sind den Klägern keine weiteren Verletzungshandlungen des Beklagten bekannt. Vor diesem Hintergrund schätzt der Senat den Streitwert für die Stufenklage auf 12.500,00 €.
63
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die von den Klägern begehrte Auskunft – und damit auch der sich daraus ergebende Schadensersatz – zu weit gefasst ist. Ansprüche auf Auskunftserteilung und Schadensersatz können über die konkrete Verletzungshandlung hinaus lediglich im Umfange solcher Handlungen gegeben sein, in denen das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt (BGH, Urteil vom 23.02.2006 – I ZR 27/03, GRUR 2006, 504, Rn. 36 – Parfümtestkäufe). Gegenstand der Klage ist im vorliegenden Fall der behauptete Verstoß im Rahmen des Internetauftritts sowie in der URL. Diese Verletzungshandlung führt jedoch nicht zur Verpflichtung zur (umfassenden) Auskunftserteilung darüber, in welchem Umfang der Beklagte die Wortmarke „Bewegte Medizin“ benutzt und verwendet hat, und zwar unter Angabe von Ort, Zeit und Umfang einer jeden einzelnen Nutzungs- und Verwertungshandlung. Vielmehr muss das Auskunftsbegehren auf kerngleiche Verletzungshandlungen zu dem Internetauftritt beschränkt werden.
64
c) Die Wertfestsetzung kann vom Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache in der Rechtsmittelinstanz schwebt, von Amts wegen geändert werden (vgl. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG).
65
2. Den Streitwert für die zweite Instanz schätzt der Senat auf 1.000,00 €.
66
Wenn bei einer Stufenklage dem Auskunftsersuchen durch die erste Instanz stattgegeben wurde, gelangt auf Berufung der Beklagtenpartei lediglich der Auskunftsanspruch in die zwei Instanz (vgl. BGH, Beschluss vom 04.02.2015 – III ZR 62/14, Rn. 2). Legt die Beklagtenpartei gegen die Verurteilung zur Auskunftserteilung Rechtsmittel ein, ist der Streitwert der zweiten Instanz nach dem Interesse des Auskunftsverpflichteten zu bestimmen, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Für die Bewertung dieses Abwehrinteresses kommt es in der Regel auf den Zeit- und Arbeitsaufwand an, den die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft verursacht (BGH, Beschluss vom 08.07.2020 – XII ZB 334/19, NJW-RR 2020, 1137).
67
Diesen Aufwand schätzt der Senat vorliegend auf 1.000,00 €. Die Kläger werfen dem Beklagten eine Markenverletzung im Internet im Zusammenhang mit einer Vortragstätigkeit vor. Der Zeit- und Arbeitsaufwand, über kerngleiche Verstöße unter Angabe von Ort, Zeit und Umfang sorgfältig Auskunft zu erteilen, ist auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Beklagten um einen Facharzt für Kardiologie sowie Innere Medizin handelt, nicht mit über 1.000,00 € anzusetzen.
68
Der zurückgenommene Leistungsantrag der Stufenklage, über den der Senat in Bezug auf die Kosten eine Entscheidung trifft, führt nicht zur Erhöhung des Streitwerts für die zweite Instanz.