VG Wiesbaden: Zu den Anforderungen an eine „elektronische Akte“ im Verwaltungsbereich nach § 7 EGovG

veröffentlicht am 18. März 2015

VG Wiesbaden, Urteil vom 28.02.2014, Az. 6 K 152/14.WI.A
§ 7 EGovG, § 7 SigG, Art. 47 EU-Grundrecht-Charta, Art. 16a Abs. 1 GG, § 60 Abs. 1 AufenthG 2004

Das VG Wiesbaden hat entschieden, dass die elektronischen Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Führung elektronischer Akten gemäß § 7 des E-Government-Gesetzes genügen. Notwendig, aber nicht eingehalten sei, dass elektronische Dokumente bildlich und inhaltlich mit dem Papierdokument übereinstimmen müssten. Zitat: „Dies setzt voraus, dass nicht nur ein optischer identischer Inhalt gewährleistet wird, sondern der Inhalt des Ursprungsdokumentes, welches eingescannt wurde, sowohl in der Bildwiedergabe, als auch der textlichen Darstellung so wiedergegeben wird, dass das Dokument – soweit die elektronische Akte herangezogen wird – die gleiche optische Klarheit und Lesbarkeit bietet wie das Original. Dies setzt wiederum voraus, dass farbige Dokumente ebenfalls farbig eingescannt und auch farbig ausgedruckt werden. Dies setzt ferner voraus, dass die Stärke der Verpixelung des Dokuments so hoch ist, dass ein Qualitätsverlust des Dokumentes gegenüber dem in Papierform vorliegenden Ausgangselement in keinster Weise eintritt.“ Zum Volltext der Entscheidung:


Verwaltungsgericht Wiesbaden

Urteil

Nummern 2 – 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.10.2013 – alias 27.01.2014 – werden aufgehoben.

Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte zu je ½ zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger, persischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben über die Türkei kommend mit einem gefälschten Reisepass über den Flughaften Frankfurt am Main am 30.08.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier meldete er sich nach eigenen Angaben unmittelbar bei der Polizei als Asylsuchender. Als Datum der erkennungsdienstlichen Behandlung der Hessischen Polizei Frankfurt am Main ist der 30.08.2012 aufgenommen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Gxx vom xx.xx.xxxx wurde die Vormundschaft des damals minderjährigen Klägers angeordnet, das Jugendamt der Stadt Gxx zum Vormund bestellt und hinsichtlich der Vertretung des Minderjährigen in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten die Ergänzungspflegschaft durch Herrn Rechtsanwalt A angeordnet.

Dieser stellte mit Schriftsatz vom 28.11.2012 für den Kläger einen Asylantrag. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger einer Jugend-Judo-Mannschaft angehöre. Er sei wiederholt Preisträger auf nationaler und internationaler Ebene gewesen. Der Kläger sei erheblich angefeindet, weil man ihm sein Alter nicht habe glauben wollen. Im Mai 2010 sei die Mannschaft ohne den Kläger nach Armenien zu einem Wettkampf geflogen. Die Maschine sei in der Nähe von Ghazvin abgestürzt. Es habe niemand überlebt. Der einzige Verbliebene aus der Gruppe sei noch der Kläger, der nunmehr mehr als zuvor Angriffen ausgesetzt sei. Um den Druck zu entfliehen, sei er über die Landesgrenze in die Türkei, Griechenland, zurück in die Türkei und dann mit falschen Papieren per Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland gekommen.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12.04.2013 in Gießen gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er illegal aus dem Iran ausgereist sei. Ferner legte er Ausdrucke vor, die zur Akte genommen wurden. Eine Übersetzung oder Inhaltsangabe des vorgelegten Materials befindet sich weder in der Dokumentenmappe noch bei der Kopie-Akte (Ausdruck der elektronischen Akte des Bundesamtes). Zur Begründung seines Asylantrages gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er, wie sein älterer Bruder, den Judo-Sport ausgeführt habe. Sein älterer Bruder sei sein persönlicher Trainer gewesen. Im Alter von 10 Jahren sei er in die nationale Jugendmannschaft eingetreten. Mit 12 Jahren habe er den 1. Platz der Judo-Meisterschaft in Asien belegt und dies in den 5 folgenden Jahren gehalten. Er sei dann von der Jugendmannschaft in die nächste Stufe aufgenommen worden. Da er ein guter Sportler gewesen sei, sei er in die Gruppe der 18 – 21-jährigen aufgenommen worden. Bei einer Meisterschaft in Ungarn hätten nur Teilnehmer von 17 – 18 Jahren teilnehmen dürfen. Er sei zu diesem Zeitpunkt aber erst 16 Jahre und 6 Monate gewesen. Kurz vor diesem Termin habe es noch einen Freundschaftskampf mit der armenischen Jugendmannschaft geben sollen. Das Flugzeug, in dem sich die Mitglieder der Mannschaft befunden hätten, sei abgestürzt und es seien dabei alle Mitglieder der Mannschaft ums Leben gekommen. Es sei dabei heraus gekommen, dass sehr viele der Sportler eigentlich jünger gewesen seien als ihr Geburtsdatum tatsächlich war. Sie seien mit gefälschten Geburtsdaten geführt worden. Nach diesem Skandal hätten die iranischen Sportler einen sehr schlechten Ruf bekommen, weil ihre Geburtsdaten gefälscht worden seien. Er sei der einzige Überlebende der Mannschaft gewesen, da er später habe fliegen sollen. Es seien viele Gerüchte in den Medien und den Zeitschriften, dass auch sein Alter falsch sei und er eigentlich jünger gewesen sei. Er sei von der Polizei festgenommen und festgehalten worden. Er sei beschuldigt worden, dass auch sein Alter eigentlich als älter angegeben worden sei, als tatsächlich vorhanden. Er sei angeklagt worden. Es sei überall im Internet und in Zeitschriften darüber berichtet worden. Er sei ca. 1 Monat festgehalten worden und man habe viele Untersuchungen an ihm vorgenommen. Man habe verschiedene Knochen- und Blutuntersuchungen gemacht, um sein Alter festzustellen. Er habe Drohungen bekommen und habe zugeben sollen, dass sein Alter nicht richtig sei. Er habe nicht belegen können, dass das, was in seinem Ausweis stehe, stimme. Man habe behauptet, dass diese Dokumente von seinem bereits verstorbenen älteren Bruder Vinard stammten. Sie hätten ihm vorgeworfen, seine Dokumente benutzt zu haben. Seinen Sport habe er nicht weiter ausüben dürfen.

Vor 11 Monaten sei beschlossen worden, dass er nicht mehr an nationalen und internationalen Meisterschaften teilnehmen dürfe. In die Schule habe er auch nicht mehr gehen dürfen. Es sei Propaganda und Hass gegen ihn gemacht worden. Auf einen Schlag seien alle Leute, die ihn gekannt hätten, gegen ihn gewesen. Er wisse nicht, mit welchem Recht die Bassiri ihn derart schlecht behandelt hätten. Er sei bei Judo-Meisterschaften immer wieder der Beste gewesen. Dies habe er für sein Vaterland gemacht. Die ganzen Bemühungen seien Zunichte gemachte worden. Alles das, was er hier vortrage, könne er durch die vorgelegten Dokumente belegen.

Auf eine anschließend erfolgte Anfrage des Bundesamtes, dessen Anfragetext nicht bekannt ist, da er sich weder in der Dokumentenmappe noch sonst wo befindet, teilte das Auswärtige Amt mit Schreiben vom 02.09.2013 mit, dass der Flugzeugabsturz im Jahre 2009 bestätigt werden könne. Ferner wurde mitgeteilt, dass in den Medien das tragische Ereignis großen Raum eingenommen habe, es sei zu einer Anklage gegen die Funktionäre des iranischen Judo-Verbandes gekommen. Verfahren gegen einzelne Sportler seien trotz der umfangreichen Berichterstattung dem Auswärtigen Amt nicht bekannt geworden. Dabei sei es nach Auffassung des Auswärtigen Amtes auch sehr unwahrscheinlich, dass gegen Einzelsportler Verfahren eingeleitet wurden, da die Verantwortlichen für die festgestellten Täuschungsversuche eindeutig die Funktionäre des iranischen Judo-Verbandes zugeschrieben wurde. Weder die Anklageschrift noch der Ausgang der gegen die Funktionäre eingeleiteten Strafverfahren seien dem Auswärtigen Amt bekannt. Eine Aussage, welches Strafmaß in den geschilderten Fällen angenommen werden könne, könne nicht gemacht werden. Der Name des Klägers könne in der Berichterstattung der iranischen Medien nicht festgestellt werden. Aussagen darüber, ob der Kläger im Rahmen eines Altersfeststellungsverfahrens in 30-tägiger Haft gewesen sei, würden gegenüber dem Auswärtigen Amt von der iranischen Justizverwaltung oder anderen Dienststellen nicht erteilt.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.10.2013 wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abgelehnt, festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG nicht vorliegen. Ferner wurde der Kläger zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung in den Iran angedroht.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Art. 16a Abs. 1 GG nicht gegeben sei, da der Kläger über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sei. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei ebenfalls offensichtlich nicht gegeben. Der Kläger habe sich im Rahmen seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt als völlig unpolitische Person dargestellt. Schon aus diesem Grunde sei nicht ersichtlich, warum der iranische Staat oder ein sonstiger Akteur ihn einer ernstzunehmenden, zu bekämpfenden politischen Gegner erblicken sollte. Soweit der Kläger sein Antragsbegehren damit begründet habe, dass er in der islamischen Republik Iran verfolgt worden sei, da man sein Alter nicht habe glauben wollen, zumal bereits Mitglieder der nationalen Judo-Mannschaft über ihr Alter getäuscht hätten, so sei dies, selbst bei Wahrunterstellung schon mangels Anknüpfung an ein asylrechtlich relevantes Merkmal nicht geeignet, ihm die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verhelfen. Die Tatmerkmalbestandteile des § 60 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor.

Auch drohe dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine Gefahr. Auch spreche die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 02.09.2013 gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Insoweit sei davon auszugehen, dass die Angaben des Klägers frei erfunden seien und auf Beobachtungen beruhten, die er im Rahmen seiner sportlichen Aktivitäten und seiner Mitgliedschaft in dem iranischen Judo-Verband gemacht habe.

Eine Zustellung an den Ergänzungspfleger scheiterte zunächst. Rechtsanwalt A teilte mit Schreiben vom 11.11.2013 (befindet sich in der Dokumentenmappe) mit, dass das Mandatsverhältnis beendet sei und sandte den Bescheid zurück. Dabei nimmt er Bezug auf ein Schreiben vom 21.10.2013, in dem er bereits mitteilte, dass sein Mandatsverhältnis wirksam beendet sei. Dieses Schreiben befindet sich in der kopierten Akte (sogenannte elektronischen Akte).

Nachdem sich der nunmehrige Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 13.01.2014 bei der Beklagten meldete, wurde ihm der Bescheid vom 18.10.2013 mit einem Korrekturvermerk des Bevollmächtigten vom 27.01.2014, nach dem Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers, am 30.01.2014 zugestellt.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 06.02.2014, eingegangen beim Verwaltungsgericht Wiesbaden am selben Tage, hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung verweist er zunächst darauf, dass er in Deutschland weiterhin Judo für den JCW Wiesbaden betreibe und diverseste Preise erzielt habe. Im Übrigen nimmt er auf die beim Bundesamt bereits vorgelegten Dokumente Bezug, insbesondere auf die „Farda News“ vom 07.08.2011 und andere Unterlagen.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.10.2013 aufzuheben.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Nachdem der Kläger den Klageantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (internationalen Schutz) beschränkte, wurde dem Kläger insoweit Prozesskostenhilfe in der mündlichen Verhandlung am 28.02.2014 gewährt.

Mit Beschluss vom 20.02.2014 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die sogenannte elektronische Akte des Bundesamtes, die Dokumentenmappe sowie die Akte des Eilverfahrens 6 L 153/14.WI.A Bezug genommen, welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gemacht worden sind.

Die am 07.02.2014 angeforderte Ausländerakte ging erst nach der mündlichen Verhandlung am 04.03.2014 bei Gericht ein, weshalb sie nicht mehr berücksichtigt werden konnte.

Entscheidungsgründe

Soweit der Kläger sein Klagebegehren auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen. Soweit der Kläger das Klageziel der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (internationaler Schutz), hilfsweise, Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG weiterverfolgt, ist die Klage zulässig.

Die Klage ist auch insoweit begründet, als der vorliegende Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.10.2013 mit der Änderung des Bevollmächtigten am 27.01.2014 offensichtlich rechtswidrig ist.

Zunächst ist festzustellen, dass die sogenannte elektronische Akte des Bundesamtes nicht vollständig ist und insoweit die Beiziehung der Dokumentenmappe zwingend erforderlich war. So konnte nur in der sogenannten Dokumentenmappe festgestellt werden, ob der Bescheid von der Einzelentscheiderin tatsächlich unterschrieben worden ist. Auch befindet sich in der Dokumentenmappe das Schreiben von Rechtsanwalt XXX vom 11.11.2013 im Original, nicht jedoch auch eingescannt in der „elektronischen Akte“.

Hinzu kommt ferner erschwerend, dass die von dem Kläger vorgelegten Dokumente in einer Art und Weise eingescannt worden sind, dass sie zwar dem äußeren Anschein noch dem Original entsprechen, jedoch in ihrer Schärfe und Auflösung ein Lesen bzw. Betrachten der Bilder unmöglich gemacht wurde. So dass auch hier ein Rückgriff auf die Dokumentenmappe zwingend erforderlich war.

Nach § 7 des E-Government-Gesetz – welches auf die Beklagte Anwendung findet – müssen elektronische Dokumente bildlich und inhaltlich mit dem Papierdokument übereinstimmen. Dies setzt voraus, dass nicht nur ein optischer identischer Inhalt gewährleistet wird, sondern der Inhalt des Ursprungsdokumentes, welches eingescannt wurde, sowohl in der Bildwiedergabe, als auch der textlichen Darstellung so wiedergegeben wird, dass das Dokument – soweit die elektronische Akte herangezogen wird – die gleiche optische Klarheit und Lesbarkeit bietet wie das Original. Dies setzt wiederum voraus, dass farbige Dokumente ebenfalls farbig eingescannt und auch farbig ausgedruckt werden. Dies setzt ferner voraus, dass die Stärke der Verpixelung des Dokuments so hoch ist, dass ein Qualitätsverlust des Dokumentes gegenüber dem in papierform vorliegenden Ausgangselement in keinster Weise eintritt.

Hinzu kommt, dass beim Scannen die jeweils für den Scanvorgang verantwortliche Person qualifiziert signiert (vgl. § 7 SigG) zu bescheinigen hat, dass das eingescannte elektronische Dokument mit dem Original voll umfänglich tatsächlich übereinstimmt. Nur so ist es möglich – abgesehen von Urteilsfälschungen, welche nur im Original überprüft werden können oder anderen entsprechenden Dokumenten, bei denen es auf die Echtheit ankommt -, dass das Gericht die vorgelegten Unterlagen in der gleichen Qualität erhält, wie die Unterlagen bei den Einzelentscheidern vorgelegen haben.

Das Gericht gestattet sich insoweit zum wiederholten Male den Hinweis, dass der bisherige Einscanprozess des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mehr als dürftig ist. So erfolgten bereits Täuschungshandlungen (türkische Nüfen mit rotem Stempel wurden eingescannt, wobei rot nicht erfasst wurde und damit der Stempel im Abdruck nicht enthalten war; vorgelegte Farbbilder mit vermeintlichen Folterspuren wurden so eingescannt, dass diese im schwarz-weiß-Ausdruck absolut unleserlich und die Darstellungen nicht erkennbar waren; Asylantragschriften wurden mit Seite 1 und 4 eingescannt, die Gründe jedoch nicht; die Liste lässt sich beliebig fortsetzen). Hinzu kommt, dass das Gericht nicht festzustellen vermag, ob die von der Beklagten eingesetzten Scanner BSI-zertifiziert sind und damit ebenfalls bereits von Anfang an sichergestellt ist, dass der Scanprozess eine Veränderung gegenüber dem Original ausschließt.

Insoweit bleibt festzustellen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine ordnungsgemäßen elektronischen Akten führt. Auf die Vollständigkeit des uralten Verfahrensverzeichnisses und die damit verbundene datenschutzrechtliche Problematik nach der EG-Datenschutzrichtlinie kommt es insoweit vorliegend schon nicht an. Dies mit der Folge, dass immer auch die Dokumentenpappe vorzulegen ist.

Unabhängig von diesen Formalien lässt der vorliegende Bescheid jedoch auch sämtliche Sachaufklärung vermissen. Insoweit ist der Bescheid aufzuheben und der Behörde Gelegenheit zu geben, diese vollständig nachzuholen (§ 113 Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO).

So wurde nach kursorischer Prüfung der von dem Kläger vorgelegten Unterlagen mit Hilfe des bei der Verhandlung anwendenden Dolmetschers festgestellt, dass sich aus den Unterlagen ergibt, dass dem Kläger eine Altersfälschung vorgeworfen wird (Blatt 38 und 46 sowie 47 der „elektronischen Akte“). Dort wird der Kläger als „Verräter der Heimat für eine Hand voll Scheine“ bezeichnet. Einen Teil der Internetseiten konnte das Gericht in der mündlichen Verhandlung als existierend, gehostet auf Servern im Iran, persönlich in Augenschein nehmen.

Zu den vorgelegten Unterlagen hat sich die Einzelentscheiderin gar nicht erklärt. Weder zu der Frage, ob diese falsch oder echt sind, noch zu deren Inhalt. Hinzu kommt ferner, dass es mehrere Auskünfte gibt, welche sich mit der Frage einer Gefährdung wegen einer Asylantragstellung von Sportlern auseinander setzen.

Nach Aufklärung des Gerichtes verfügt das Bundesamt in seiner Dokumentation über die Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 04.12.2000 an das Bayerische Verwaltungsgericht München und vom Deutschen Orient-Institut vom 28.02.2001 an das Bayerische Verwaltungsgericht Regensburg. Zu beiden Auskünften nimmt der vorliegende Bescheid nicht einmal im Ansatz Stellung. Deshalb ist davon auszugehen, dass sie in die Entscheidungsfindung offensichtlich gar nicht eingeflossen sind.

Darüber hinaus hat der Bevollmächtigte des Klägers im Eilverfahren das Gutachten des Kompetenzzentrums Orient-Okzident Mainz der Gutenberg-Universität vom 17.09.2004 an das VG Mainz sowie ein Urteil des VG Mainz vom 04.05.2005, Az. 7 K 393/03, vorgelegt, welches sich ebenfalls mit einer potentiellen Gefährdung von Sportlern, die aus dem Iran geflohen sind, auseinandersetzt. Letzteres Gutachten befindet sich wiederum nach den Ermittlungen in der mündlichen Verhandlung nicht in der Datenbank der Beklagten.

Soweit von Seiten der sog. Justizverwaltung (Exekutive) die These aufgestellt werden sollte, dass in Asylverfahren es für die Gerichte zur Erlangung der notwendigen Informationen ausreichend seien sollte, sich auf die Datenbank der Beklagten zu stützen, vermag dem das Gericht aufgrund der Erkenntnisse des vorliegenden Falles nicht zu folgen. Im Gegenteil.

Gemäß Art. 47 EU-Grundrechtekarta hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. „Unabhängigkeit“ bedeutet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, dass das Gericht von jeglicher Einflussnahme von Außerhalb, sei dies unmittelbar oder mittelbar, entzogen wird. Insoweit müssen die Gerichte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben objektiv und unparteiisch vorgehen. Hierzu müssen sie von jeglicher Einflussnahme von außen, einschließlich der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme des Bundes oder der Länder sicher sein und nicht nur von der Einflussnahme seitens der zu kontrollierenden Einrichtung – hier des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Insoweit dürfen die Richter auch nicht der Dienstaufsicht des Ministeriums unterliegen (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urt. v. 16.10.2012, Az. C 614/10, Rdnr. 42 ff.). Eine funktionale Unabhängigkeit genügt dazu gerade nicht (zur Problemstellung der gerichtlichen Unabhängigkeit siehe auch Schild, Datenschutz – Entwurf des Gesetzes zur Errichtung der Informationstechnik-Stelle der hessischen Justiz (IT-Stelle) und zur Regelung justizorganisatorischer Angelegenheiten sowie zur Änderung von Rechtsvorschriften – Stellungnahme -, NRV-Info Hessen 06/2011, S. 9 ff.; ders., Die völlige Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden aus europarechtlicher Sicht – zugleich Überlegungen, die bestehende Vertragsverletzung im Bereich der Kontrollbehörden nach Art. 28 EG-DS-RiLi der Bundesrepublik Deutschland endlich zu beenden, DuD 2010, S. 549 ff.).

Insoweit ist eine „Dokumentations- und Informationsstelle“, wie sie derzeit in Hessen gegeben ist, zwingende Voraussetzung zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des Gerichts in Asylverfahren, aber auch zur Gewährleistung aktueller Informationen, auch aus der Tagespresse, wie sie vom Bundesamt nicht geliefert wird. Andernfalls wäre eine Unabhängigkeit gegenüber der Beklagten, die dann die Arbeitsmaterialien in der Form von „vorgefilterten“ (?) Erkenntnissen dem Gericht liefern würde, nicht gewährleistet.

Da der vorliegende Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge jegliche Auseinandersetzung mit den vorliegenden Informationsquellen vermissen lässt, aber auch nicht erkennen lässt, dass die von dem Kläger vorgelegten Unterlagen überhaupt zur Kenntnis genommen wurden, geschweige denn auf ihre inhaltlichen Aussagegehalt und ihre Wertigkeit geprüft wurden, konnte das Gericht den vorliegenden Bescheid nur aufheben, um dem Bundesamt die Möglichkeit zu geben, die erforderlichen Ermittlungen, welche erheblich sind, durchzuführen und die Belange des Klägers sachdienlich zu prüfen.

Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Arbeit des Bundesamtes durchzuführen. Dies, zumal nach der von der Exekutive (zweiten Gewalt) dem Richter vorgeschriebene Gerichtsstatistik Peppsy für ein durchschnittliches Asylverfahren nur 400 Minuten zur Verfügung stehen und damit die für ein Verfahren vorgegebene Arbeitszeit äußerst knapp bemessen ist. Es mag zwar sein, dass ein entsprechender „Pensumschlüssel“ auch beim Bundesamt gegeben ist. Dieser damit aufgebaute Erledigungsdruck lässt sich jedoch durch entsprechenden Personaleinsatz minimieren. Dies scheint nicht nur ratsam, sondern zweckmäßig, zumal die vorliegenden Verfahren zwischenzeitlich in einem europäischen Rechtsrahmen stehen.

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen. Im Übrigen war der Kläger im Wesentlichen obsiegend, dies mit der Folge, dass die Kosten, wie geschehen, zu verteilen waren (§ 155 Abs. 1 und 2 VwGO).

Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylVfG.

Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit bezüglich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO entsprechend.

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