AG Charlottenburg: Kein Unterlassungsanspruch gegen lästigen Blogger nach dem Gewaltschutzgesetz / Beschluss des LG Berlin aufgehoben

veröffentlicht am 8. November 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammAG Charlottenburg, Urteil vom 28. April 2009, Az. 216 C 1001/09
§§ 925, 936 ZPO; § 1 GewSchG

Das AG Charlottenburg hat die Entscheidung des LG Berlin (Beschluss vom 16.03.2009, Az. 53 T 30/09) kassiert, in welcher ein Rechtsanwalt einem Internetblogger auf Grundlage des Gewaltschutzgesetzes u.a. hatte untersagen lassen, unzutreffende Behauptungen über den Antragsteller Dritten gegenüber, insbesondere über Webseiten, kund zu tun. Zum Volltext der Entscheidung:



Amtsgericht Charlottenburg

Urteil

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat das Amtsgericht Charlottenburg, Abteilung 216, auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2009 durch … für Recht erkannt:

1.
Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 16.03.2009 (53 T 30/09) wird aufgehoben und der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

2.
Der Verfügungskläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens die Unterlassung verschiedener Handlungen, insbesondere der Veröffentlichung von Beiträgen im Internet, nach den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes.

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Der Beklagte betreibt die Website www…..de und besucht regelmäßig Sitzungen der Pressekammern der Landgerichte Berlin und Hamburg, an denen auch der Antragsteller teilnimmt. Er veröffentlicht auf der genannten Website Beiträge zu diesen Sitzungen. Der Kläger erwirkte gegen den Beklagten bereits mehrfach einstweilige Verfügungen, welche Veröffentlichungen des Beklagten im Internet über den Kläger betrafen.

Im Dezember 2008 sandte der Beklagte dem Kläger eine Weihnachtskarte zu, in welcher er zwei Symbole verwendete, deren Verwendung ihm durch einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin untersagt war mit dem Text: „Ein frohes Weihnachtsfest. Viel Glück und Erfolg im neuen Jahr. Rechtsgeschichte soll 2009 geschrieben werden. Ihr … Dezember 2008″

Das Amtsgericht Charlottenburg hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 30.01.2009 zurückgewiesen.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hin hat das Landgericht Berlin mit einstweiliger Verfügung vom 16.03.2009 unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts dem Beklagten untersagt, den Kläger zu beleidigen, zu bedrohen oder seine Gesundheit zu verletzen, über diesen unzutreffende Behauptungen, insbesondere über Webseiten, kundzutun, sich dem Kläger zu nähern oder Kontakt zu diesem aufzunehmen.

Am 25.02.2009 hat der Beklagte an die E-Mail-Adresse der Kanzlei des Klägers eine E-Mail mit einer Übersicht von Verfahren der Kanzlei des Klägers übersandt. Zu den diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die als Anlage zu den Akten gereichte Abschrift (Bl. 119 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen die einstweilige Verfügung hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 19.03.2009 Widerspruch eingelegt.

Der Kläger verfolgt sein ursprüngliches Begehren weiter und beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 16.03.2009 zu bestätigen.

Der Beklagte beantragt, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 16.03.2009 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Gründe

Die einstweilige Verfügung ist aufzuheben, da sie nicht rechtmäßig ergangen ist, §§ 936, 925 ZPO.

Aus den Gründen des Beschlusses des erkennenden Gerichts vom 30.01.2009 sowie der Nichtabhilfeentscheidung vom 23.02.2009 fehlt es jedenfalls an einem Verfügungsanspruch.

Soweit dem Beklagten untersagt wurde, den Kläger zu bedrohen oder an der Gesundheit zu verletzen, fehlt ein Verfügungsanspruch, weil – obwohl Drohungen und Gesundheitsbeschädigungen selbstverständlich zu unterlassen sind – eine solche Bedrohung oder Gesundheitsverletzung durch den Beklagten weder ersichtlich ist noch von dem Kläger substantiiert vorgetragen wurde.

Soweit dem Beklagten untersagt wurde, unzutreffende Behauptungen über den Kläger kundzutun, ist ein Verfügungsanspruch nicht dargetan. Auf die Behauptung eines nationalsozialistischen Hintergrundes ist dabei nicht abzustellen, da die Aufstellung dieser Behauptung dem Beklagten bereits durch eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin untersagt wurde. Für eine nochmaligeUntersagung fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis, da die Durchsetzung der bereits existenten einstweiligen Verfügung einen einfacheren und schnelleren Weg gegenüber der Durchführung eines erneuten einstweiligen Verfügungsverfahrens darstellt.

Dass unzutreffende Behauptungen, welche dem Beklagten nicht bereits untersagt sind, und die sich nicht in reinen Schmähungen erschöpfen, getätigt wurden oder zu befürchten sind, ist nicht glaubhaft gemacht. Ausschließlich schmähende Äußerungen sind von der Untersagung von Beleidigungen im Tenor des landgerichtlichen Beschlusses zu 1a) bereits abschließend erfasst.

Soweit dem Beklagten untersagt wurde, sich dem Kläger zu nähern, ist dafür ein Verfügungsanspruch ebenfalls nicht substantiiert vorgetragen. Der Kläger trägt lediglich vor, der Beklagte kommentiere die Auftritte des Antragsgegners vor Gericht lauthals in hämischer Weise. Wann dies geschehen sein soll und welcher Art die Kommentare des Beklagten waren, wird – auch auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung – nicht dargelegt. Dieser Vortrag genügt nicht den Anforderungen an ein Näherungsverbot.

Ein Verfügungsanspruch ergibt sich auch hinsichtlich der Unterlassung von Beleidigungen und der Kontaktaufnahme insbesondere nicht aus dem Gewaltschutzgesetz, da dieses auf den vorliegenden Fall keine Anwendung findet.

Der Kläger stützt seinen Anspruch auf Unterlassung von Beleidigungen nicht auf Beleidigungen, welche der Beklagte ihm gegenüber geäußert habe, sondern ausschließlich auf solche, die der Beklagte im Internet Dritten zugänglich macht.

Bei den Internetveröffentlichungen handelt es sich nicht um Handlungen, die dem Schutzbereich des Gewaltschutzgesetzes unterfallen. Diese mögen beleidigenden Inhalt haben, aber das Gewaltschutzgesetz ist nicht geeignet, solche Beleidigungen zu unterbinden. Dies ist vielmehr dem allgemeinen Unterlassungsanspruch überlassen, aufgrund dessen der Kläger bereits mehrfach einstweilige Verfügungen gegen den Beklagten erwirkt hat. Inwieweit darüber hinaus beleidigende Äußerungen getätigt wurden, ist nicht vorgetragen.

Der Kläger stützt seinen Anspruch dem Grunde nach auf § 1 Abs. 2 Nr. 2. b) GewSchG; dessen Voraussetzungen hier aber nicht vorliegen. Die Veröffentlichung von Artikeln über eine Person stellt keine Belästigung im Sinne eines „Stalking“ dar. Stalking kann zwar auch über Fernkommunikationsmittel erfolgen, Voraussetzung dessen ist aber immer eine direkte Zielrichtung gegen das „Opfer“ im Sinne einer (versuchten) Kontaktaufnahme. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut durch die Verwendung der Worte „nachstellt“ und „verfolgt“. Das bloße Verächtlichmachen gegenüber Dritten ist von diesem Wortlaut auch bei weitester Auslegung nicht umfasst.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den von dem Kläger vorgelegten Literatur- und Rechtsprechungsauszügen. Es mag bei dem von dem Kläger angeführten „Cyber-Stalking“ eine direkte im Sinne von körperliche Kontaktaufnahme des „Täters“ mit dem „Opfer“ entbehrlich sein, ein „Nachstellen“ bzw. „Verfolgen“ als Inbegriff des Stalkings ist jedoch nicht entbehrlich. Sofern man der Einordnung von negativen Einträgen in Internet-Foren als eine mögliche Ausprägung des Stalking folgen möchte, reicht dies für sich genommen jedenfalls noch nicht aus, um den Tatbestand des Stalkings zu erfüllen.

Ein Stalking im Sinne des Gewaltschutzgesetzes hat aber der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Dem Beklagten geht es nach dem Vortrag des Klägers gerade darum, diesen gegenüber dritten Personen zu verunglimpfen und zu kritisieren. Eine direkte Kontaktaufnahme – auch mithilfe von Fernkommunikationsmitteln – findet nicht statt.

Allein die Zusendung der „Weihnachtskarte“ erreicht den Bereich der unzumutbaren Belästigung nicht. Die von dem Kläger beanstandete Verwendung der Symbole ist bereits durch eine einstweilige Verfügung untersagt, so dass diesbezügliche Unterlassungsansprüche über die bereits existente einstweilige Verfügung durchzusetzen sind. Ein weiterer beleidigender Inhalt lässt sich der Weihnachtskarte nicht entnehmen. Auch die einmalige E-Mail des Beklagten vom 25.02.2009 an den Kläger führt nicht im Wege einer Gesamtbetrachtung zu einer den sonstigen Ausprägungen des Stalkings vergleichbaren Verfolgung mittels Telekommunikationsmitteln. Gemeint sind damit „Fälle der hartnäckigen Belästigung einer Person durch eine andere, insbesondere aufdringliche Kontaktversuche und Annäherung, Telefonterror und sonstige Verfolgung mittels Telekommunikation“ (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 68. Aufl. 2009, § 1 GewSchG, Rdnr. 8 m. w. N.). Die Zusendung einer E-Mail erfüllt – auch in Zusammenschau mit der Zusendung einer Weihnachtskarte – weder im Hinblick auf den Wortlaut des Gewaltschutzgesetzes noch im Hinblick auf dessen Schutzzweck diese Voraussetzungen.

Die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Ansicht des Klägers, die einstweilige Verfügung sei zu bestätigen, um zu verhindern, dass der Beklagte weiterhin Beiträge über den Kläger auf der Website veröffentlicht, überzeugt nicht. Das mit dem Gewaltschutzgesetz zur Verfügung gestellte Instrumentarium dient nicht dazu, äußerungsrechtliche Ansprüche durchzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr 6 ZPO.

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