LG Essen: Sog. „Pornopranger“ der Rechtsanwaltskanzlei U+C im Internet ist rechtswidrig / Volltext

veröffentlicht am 31. August 2012

LG Essen, Beschluss vom 30.08.2012, Az. 4 O 263/12 – nicht rechtskräftig
§ 823 BGB, § 1004 BGB, Art. 12 Abs. 1 GG

Das LG Essen hat entschieden, dass die Rechtsanwaltskanzlei U+C eine abgemahnte Anschlussinhaberin nicht auf ihrem geplanten Pornopranger (von der Kanzlei als „Gegnerliste“ bezeichnet, vgl. unseren Beitrag hier) namentlich aufführen darf. Der Kollege RA Hendrik Peters, Dortmund, hat uns die von ihm erwirkte Entscheidung freundlicherweise im Volltext zur Verfügung gestellt:

Landgericht Essen

Beschluss

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

gegen

im Wege der einstweiligen Verfügung wird auf Grund des dem Beschluss beigefügten Antrages und der eidesstattlichen Versicherung vom 27.08.2012 gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. § 935 ZPO und wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorangegangene Verhandlung angeordnet:

Die Antragsgegner werden verurteilt, es zu unterlassen, den Namen der Antragstellerin zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, insbesondere wenn die Veröffentlichung im Namen einer „Gegnerliste“ erfolgt.

Den Antragsgegnern wird im Fall der Zuwiderhandlung angedroht:
– die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 EUR ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, die Anordnung von Ordnungshaft
oder
– die Anordnung unmittelbarer Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, bei mehreren

oder wiederholten Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren.

Die Kosten des Verfahrens werden den Antragsgegnern auferlegt. Der Verfahrenswert wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin ist Privatperson undlnhaberin eines lnternetanschlusees. Die Antragsgegnerin zu 1) betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei, die Antragsgegner zu 2) und 3) sind Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1). Sie führt unter anderem Abmahnverfahren wegen Filesharings im Internet.

Die Antragsgegnerin zu 1) forderte die Antragstellerin erfolglos mit Schreiben vom 24.11.2011 auf, für eine Abmahnung, die sie gegenüber der Antragsstellerin auf Grund einer Urheberrechtsverletzung ausgesprochen hat, 1.286,80 EUR zu zahlen. Die Antragstellerin antwortete, sie habe keine Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletzung erhalten. Daraufhin beauftragte die Antragsgegnerin zu 1) ein Inkassobüro mit der weiteren Geltendmachung der Forderung.

Die Antragsgegnerin zu 1) plant die Veröffentlichung einer so genannten Gegnerliste auf ihrer Homepage im Internet und kündigt dies auf ihrer Homepage für den 01.09.2012 an. In‘ einer verlinkten Stellungnahme vom 20.08.2012 heißt es unter anderem: „Die Kanzlei • Rechtsanwälte mahnt als anwaltliche Interessenvertretung ihrer Mandanten Inhaber von Internetanschlüssen ab, die eine‘ Urheberrechtsverletzung begangen haben. Zu den Mandanten zählen u.a. auch Auftraggeber aus der Erotikbranche, die ihre Urheberrechte verletzt sehen …. „

Von der Veröffentlichung wird im Internet auf verschiedenen Seiten unter den Überschriften ,;Anwälte planen Porno-Pranger im Internet“, „Abmahnkanzlei plant Porno-Pranger in Deutschland“ und „Update: Achtung! … kündigen Veröffentlichung einer Gegnerliste an!“ berichtet.

Die Antragstellerin forderte die Antragsgegnerinnen erfolglos zur Unterlassung der Veröffentlichung ihres Namens auf.

Sie ist der Auffassung, eine Veröffentlichung ihres Namens verletze ihr Persönlichkeitsrecht. Die Antragsgegnerin zu 1) sei tätig unter anderem für Firmen in der Pornoindustrie. Sie sei fast ausschließlich in Bezug auf Abmahnungen im Auftrag der Pornoindustrie bekannt geworden. Leser der Gegnerliste im Internet würden daher den Namen der Antragstellerin in Zusammenhang mit dem Vorwurf des Downloads von Pornos bringen. Die Veröffentlichung sei nicht durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.12.2007, 1 BvR 1625/06) gedeckt, zumal es sich bei der Antragstellerin um eine Privatperson handelt. Die Berufsausübungsfreiheit der Antragsgegnerinnen habe daher hinter dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin zurückzutreten. Zudem sei eine Veröffentlichung der Namen von Verbrauchern nicht sachdienlich, wenn es darum ginge, potenzielle Mandanten einzuwerben. Die Veröffentlichung diene folglich nur als Pranger und Druckmittel zur Zahlung gegen den Abgemahnten.

Die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegner zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes oder Ordnungshaft zu unterlassen, den Namen der Antragstellerin zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, insbesondere wenn die Veröffentlichung im Namen einer „Gegnerliste“ erfolgt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrags wird umfassend auf den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und dessen Anlagen verwiesen.

Durch die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 27.08.2012 sowie die Anlagen zur Antragsschrift sind sowohl die den Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB begründenden Tatsachen als auch die Voraussetzungen glaubhaft gemacht, unter denen wegen des dringenden Verfügungsgrundes eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung erfolgen kann (§§ 935, 937 Abs. 2, 940 ZPO).

Der Antragstellerin hat gegen die Antragsgegner einen Anspruch auf Unterlassen gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB. Eine Veröffentlichung des Namens der Antragstellerin verletzt deren durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst das Recht einer Person auf Selbstbestimmung. Dazu gehört auch, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen (vgl. BVerfGE 35, S. 202; BVerfGE 54, S. 148). Durch die Nennung in einer sogenannten „Gegnerliste“ würde die Antragsgegnerin mit ihrem Namen in einer für jedermann zugänglichen Quelle genannt und dadurch in ihrem Recht auf Anonymität verletzt. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin ist rechtswidrig, da dieses bei einer Abwägung mit den grund rechtlich geschützten Rechten der Antragsgegner überwiegt.

Dem steht auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.12.2007 (1 BvR 1625/06) nicht entgegen, der die Frage der Werbung mit Gegnerlisten behandelt und die sachliche und unkommentierte Benennung von Unternehmen in Gegnerlisten zu Werbezwecken erlaubt. Die berufliche Außendarstellung einschließlich der Werbung für die ausgeübten Tätigkeiten fällt neben dem Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG grundsätzlich in den Bereich der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit. Gegnerlisten können demgemäß als Werbemaßnahmen in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallen.

Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, dass die geplante Veröffentlichung einer Gegnerliste durch die Antragsgegner, welche den Namen der Antragstellerin enthält, insoweit Werbezwecken dient. Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine Privatperson. Ein besonderes Interesse der Antragsgegner, Rechtsstreitigkeiten mit. der Antragstellerin durch Veröffentlichung einschließlich einer Namensnennung zu vermarkten, um auf diesem Wege eine Expertise in der entsprechenden Rechtsmaterie zu dokumentieren und dadurch neue Mandate zu akquirieren, ist nicht erkennbar. Jedenfalls aber überwiegt ein solches Interesse nicht das Recht der Antragstellerin, nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich anders als Unternehmen oder Kaufleute nicht am Markt auftritt. Wer rechtsgeschäftlich nach außen tätig wird, muss Darstellungen eher erdulden, die auch bei neutraler Darstellung ein kritisches Element implizieren können. Soweit der Bezug zu einer Geschäftstätigkeit aber nicht besteht, hat der Grundsatz über die Selbstbestimmung einer Nutzung des Namens besondere Bedeutung. Der Einzelne tritt nicht bewusst durch sein Geschäftsgebaren in die Öffentlichkeit und soll nicht als Mittel zum Zweck für Werbemaßnahmen genutzt werden. Der Grundrechtsschutz des Listennutzers im Rahmen der Werbefreiheit ist auf eine allenfalls abstrakte Angabe ohne Namensnennung zu reduzieren.

Dies gilt vorliegend insbesondere auch deshalb, weil die Antragstellerin befürchten muss, durch die Tätigkeit der Antragsgegner insbesondere im Bereich des Urheberrechtsschutzes unter anderem auch für Unternehmen aus der Erotikbranche, in Verbindung mit etwaigen Abmahnverfahren in diesem Zusammenhang gebracht zu werden und dadurch in ihrem sozialen Ansehen beeinträchtigt zu werden.

Es besteht auch eine Erstbegehungsgefahr, da die Antragsgegner konkret angekündigt haben, ab dem 01.09.2012 eine Gegnerliste auf ihrer Internetpräsenz zu veröffentlichen. Es besteht aufgrund der vorangegangenen Zahlungsaufforderungen die ernstliche Besorgnis, dass die Antragstellerin auf dieser Liste namentlich benannt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 53 Abs. 1 GKG, 3 ZPO. Essen, 30.08.2012

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