LG Karlsruhe: Keine Vertragsstrafe für Fortbestand eines Wettbewerbsverstoßes in der Wayback-Machine / 2023

veröffentlicht am 28. März 2023

Vertragsstrafe
LG Karlsruhe, Urteil vom 16.02.2023, Az. 13 O 2/23 KfH

§ 780, § 781 BGB

Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass es keinen Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung darstellt, wenn alte Webseiten-Versionen mit zu unterlassender Werbung, die aus der Zeit vor Zustandekommen eines Unterlassungsvertrags stammen, in einem von Dritten selbständig betriebenen Web-Archiv (hier: Wayback-Machine) weiterhin auffindbar sind, welches von üblichen Internet-Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann. Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Karlsruhe

Urteil

hat das Landgericht Karlsruhe – Kammer für Handelssachen I – durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2023 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien sind beide – jedenfalls unter anderem – im Online-Marketing für Anwaltskanzleien tätig. Im Rahmen einer vor dem Landgericht Wiesbaden erhobenen Widerklage, die dort abgetrennt und an das Landgericht Karlsruhe verwiesen wurde, erstrebt die hiesige Klägerin die Zahlung einer Vertragsstrafe.

Mit Anwaltsschreiben vom 17.03.2021 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, es werde „an mehreren Stellen im Internet mit jahrelanger Markterfahrung“ geworben, obwohl das Unternehmen der Beklagten erst erstmals in das Handelsregister eingetragen wurde. Als „Beispiel“ führte die Klägerin die Formulierung auf der Homepage der Beklagten an:

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Die Beklagte übermittelte mit Anwaltsschreiben vom 31.03.2021 (WK1) eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, wonach sie sich verpflichtete,

1.
es zukünftig zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit „12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing“ zu werben, solange das Unternehmen der Unterlassungsschuldnerin weniger als 12 Jahre am Markt tätig war, wenn dies geschieht, wie unter https://www. g und nachfolgend abgebildet:

[obiger Text wie auf der Homepage formatiert]

für den Fall der künftigen schuldhaften Zuwiderhandlung gegen vorstehende Ziffer 1. eine Vertragsstrafe an die Unterlassungsgläubigerin zu zahlen, deren Höhe vorn Unterlassungsgläubiger nach billigem Ermessen bestimmt und im Streitfall auf Betreiben der

2.
Unterlassungsschuldnerin durch das zuständige Amts- oder Landgericht auf Angemessenheit überprüft werden kann.

Die Klägerin antworte durch ihre Anwälte rund anderthalb Jahre später am 21.09.2022 und nahm die Unterlassungserklärung an (WK2).

Unter der URL web.archive.org/…, der sog. „Wayback Machine“, die von einer US-amerikanischen Non-Profit-Organization betrieben wird, ist die genannte Werbung der Beklagten unter dem Datum 27.11.2020 und dem Datum 03.02.2021 weiterhin abrufbar (WK3).

Die Klägerin ist der Auffassung, die Parteien seien über einen Unterlassungsvertrag verbunden. Die Vertragsstrafe sei in eingeklagter Höhe verwirkt, weil die Beklagte es unterlassen habe, die Einträge ihrer Webseite mit der zu unterlassenden Werbung aus der Wayback Machine entfernen zu lassen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.500,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Klagabweisung.

Die Beklagte ist der Meinung, aufgrund des Zeitablaufs sei schon kein Unterlassungsvertrag zustande gekommen. Soweit frühere Inhalte ihrer Webseite auf der Webseite web.archive.org abrufbar seien, könnten diese keine Verstöße begründen. Denn in einem Archiv abrufbare Inhalte stellten keine Werbung i.S.d. UWG dar. Jedenfalls sei eine etwaige Vertragsstrafe aufgrund des § 13a Abs. 3 UWG auf die Höhe von 1.000,00 EUR gedeckelt. Die Beklagte beruft sich ferner auf die Einwände des Rechtsmissbrauchs und der Verwirkung.

Auf die Sitzungsniederschrift vom 16.02.2023 wird ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Die Beklagte hat gegen die eingegangene Unterlassungsverpflichtung nicht verstoßen.

1. Allerdings ist zwischen den Parteien ein Unterlassungsvertrag mit dem oben wiedergegebenen Inhalt zustande gekommen.

a) Der wettbewerbsrechtliche Unterwerfungsvertrag ist ein abstraktes Schuldanerkenntnis nach §§ 780, 781 BGB (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 13 Rn. 166 m.w.N.). Wenn – wie hier – keine typische Abmahnung mit vorformulierter Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vorliegt, kann auch erst die Unterwerfungserklärung des Schuldners das Angebot zum Abschluss des Unterwerfungsvertrags darstellen (a.a.O., Rn. 170). Die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe wird dabei nicht schon durch eine einseitige Erklärung des Schuldners begründet, sondern setzt den Abschluss eines Vertrags zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner voraus. Für das Zustandekommen eines solchen Vertrags gelten grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften (BGH, GRUR 2010, 355 Rn. 17 – Testfundstelle).

b) Mangels einer konkludenten Annahme, für die nichts vorgetragen oder ersichtlich ist, kommt es im Streitfall auf eine ausdrückliche Annahme an. Diese wurde hier mit Anwaltsschreiben vom 21.09.2022 erklärt, also rund anderthalb Jahre nach Abgabe der Unterwerfungserklärung mit Anwaltsschreiben vom 31.03.2021. Dieser Zeitverzug steht einem Vertragsschluss nicht entgegen. Ein Vertragsangebot kann nach § 147 Abs. 2 BGB zwar grundsätzlich nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Da der Schuldner (zur Vermeidung der Wiederholungsgefahr) aber daran interessiert ist, dass sein Angebot auch noch nach der üblichen Annahmefrist angenommen werden kann, ist davon auszugehen, dass er dieses Angebot unbefristet abgegeben hat mit der Folge, dass es vom Gläubiger jederzeit angenommen werden kann. Die dispositive Bestimung des § 147 Abs. 2 BGB steht dem nicht entgegen (BGH, GRUR 2010, 355 Rn. 21 – Testfundstelle; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 13 Rn. 173).

2. Gegen ihre Verpflichtung, nicht mit „12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing“ zu werben, hat die Beklagte nicht verstoßen. Es stellt keinen Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung dar, es nicht zu verhindern, dass alte Webseiten-Versionen mit der zu unterlassenden Werbung, die aus der Zeit vor Zustandekommen des Unterlassungsvertrags stammen, in einem von Dritten selbständig betriebenen Web-Archiv weiterhin auffindbar sind, welches von üblichen Internet-Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann.

a) Die entsprechende Auffindbarkeit der früheren, zu unterlassenden Werbung fällt schon nicht unter den Begriff der geschäftlichen Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG.

aa) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG ist „geschäftliche Handlung“ jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt. Ein solcher Marktbezug liegt dann vor, wenn die Handlung ihrer Art nach auf die Marktteilnehmer (Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer) einwirken und damit das Marktgeschehen beeinflussen kann (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 2 Rn. 2.38 m.w.N.). Das Merkmal des „objektiven Zusammenhangs“ ist funktional zu verstehen und setzt voraus, dass die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern (BGH, GRUR 2013, 945 Rn. 17 m.w.N. – Standardisierte Mandatsbearbeitung). Auf eine subjektiv-finale Zweckrichtung kommt es nicht an (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Keller, 5. Aufl. 2021, UWG § 2 Rn. 1, 7, 50), sondern darauf, dass die Handlung dazu objektiv geeignet sein muss, geschäftliche Entscheidungen von Marktteilnehmern zu beeinflussen (BGH, a.a.O. Rn. 20, 23; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 2 Rn. 2.38). Dazu muss sich die Handlung irgendwie positiv auf den Marktauftritt oder die Marktposition eines Unternehmens auswirken und dessen Absatz- oder Bezugschancen erhalten oder verbessern können(Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Keller, 5. Aufl. 2021, UWG § 2 Rn. 57 m.w.N.).

bb) Daran fehlt es im Streitfall.

(1) Schon durch die Worte „im geschäftlichen Verkehr“ und „zu werben“ in Ziff. 1. beschränkt sich der Unterlassungsvertrag auf geschäftliche Handlungen. Eine geschäftliche Handlung läge in der Unterlassung, bei der Wayback Machine eine Löschung zu erreichen, bzw. in der deswegen fortbestehenden Abrufbarkeit nur, wenn dieses Verhalten mit der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhinge.

(2) An der Eignung, über den Einfluss auf geschäftliche Entscheidungen von Marktteilnehmern den Absatz der Dienstleistung der Beklagten positiv zu beeinflussen, fehlt es bei dem hier in Rede stehenden Verhalten. Die Nichtverhinderung der bloßen Abrufbarkeit der ursprünglichen Werbung unter den gegebenen Umständen stellt keine geschäftliche (Werbe-)Handlung dar. Maßgeblich ist dabei der Charakter der Wayback Machine als Archiv, das zudem nach unstreitig gebliebenem Vortrag keine eigene Suchfunktion aufweist und durch übliche Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann. Es ist – was das internetaffine Gericht selbst beurteilen kann und darf – nach menschlichem Ermessen so gut wie ausgeschlossen, dass die Beklagte Kunden dadurch gewinnt, dass die (längst von der Homepage gelöschten und über Suchmaschinen unauffindbaren) alten Versionen ihrer Homepage zur Kenntnis und zum Anlass genommen werden, mit der Beklagten geschäftlich in Kontakt zu treten. Dabei kommt es nicht darauf, dass – wie anzunehmen ist – ein kleiner Teil der potentiellen Kunden der Beklagten die Wayback Machine kennen und gelegentlich nutzen mag. Entscheidend ist vielmehr, dass eine solche Nutzung kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist. Dies liegt schon daran, dass man entweder wissen muss, auf welchem zeitlichen Stand die Webpräsenz der Beklagten die fraglichen Werbeaussagen enthielt, oder zufällig darauf stoßen muss. Für eine solche gezielte oder beiläufige „Recherche“ in dem genannten Internet-Archiv besteht indes für potentielle Kunden der Beklagten keinerlei Anlass. Der Werbeeffekt könnte hier nur dadurch eintreten, dass Marktteilnehmer zufällig oder aus völlig anderen Interessen heraus auf eine aus dem Netz genommene und von Dritten (unveranlasst) archivierte Seite stoßen. Dies stellt keinen unmittelbaren und objektiven Marktbezug dar. Zu Recht hebt die Beklagte auch hervor, dass für einen Rezipienten, der gezielt nach einer Archivversion der Webseite der Beklagten sucht oder (so ist zu ergänzen) zufällig darauf stößt, völlig unzweifelhaft ist, dass es sich hierbei nicht um eine aktuelle Selbstdarstellung des Unternehmens handelt. Damit scheiden Internet-Archive als Ort werblicher Maßnahmen in aller Regel – so auch hier – aus.

(3) Hiergegen kann die Klägerin nicht einwenden, dass – was im Ansatz zutreffend ist – die Erfüllung der hier eingegangenen Unterlassungsverpflichtung davon abhängig ist, dass zunächst die Quelle fortdauernder Störungen beseitigt werden muss, sodass die Beseitigung quasi notwendige Voraussetzung der Unterlassung ist und als deren Teilaspekt erscheint. Der Schuldner muss alle ihm im Einzelfall zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um künftige Zuwiderhandlungen zu verhindern (BGH, GRUR 2018, 1183 Rn. 9 – Wirbel um Bauschutt; MüKoUWG/Fritzsche, 3. Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 136 m.w.N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 12 Rn. 5.4a). Insbesondere ist auf Suchmaschinenbetreiber hinzuwirken, da deren Cache häufig Beiträge im Internet noch verfügbar hält, die auf der Originalseite bereits seit längerem gelöscht worden sind (OLG Köln, GRUR-RR 2020, 276 Rn. 43 m.w.N.). Denn bei einer Dauerhandlung – hier: auf der Homepage vorgehaltene Inhalte – ist die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung (BGH, GRUR 2015, 258 Rn. 64 – CT-Paradies). Dementsprechend musste die Beklagte sowohl ihre Homepage anpassen als auch auf Suchmaschinenbetreiber einwirken.

Beides ist indes unstreitig und mit Erfolg geschehen. Die fragliche Werbung findet sich nicht mehr auf der Homepage und wird auch bei einer Google-Suche oder mittels sonstiger Suchmaschinen nicht gefunden. Mit dem Anbieter der Wayback Machine musste die Beklagte schon deswegen nicht in Kontakt treten, weil die bloße Auffindbarkeit einer dortigen Archivierung, wie dargelegt, schon nicht den Charakter einer geschäftlichen Handlung der Unterlassungsschuldnerin trägt. Die bloße Auffindbarkeit früherer Werbung hätte also schon ursprünglich nicht verboten werden können, so dass sich etwaige Beseitigungspflichten der Beklagten auch nicht auf diese Internetquelle erstreckten.

(4) Es kommt hinzu, dass der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs grundsätzlich nicht für das selbstständige Handeln Dritter einzustehen hat (BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel; BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, GRUR 2017, 823 Rn. 29 – Luftentfeuchter). Das entbindet ihn zwar im Rahmen seiner durch Auslegung ermittelten positiven Handlungspflicht nicht davon, auf Dritte einzuwirken. Dies gilt jedoch nur für Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit (weiteren) Verstößen ernstlich rechnen muss (BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 26 – Vertragsstrafenklausel; BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 30 – Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, GRUR 2017, 823 Rn. 29 – Luftentfeuchter; BGH, GRUR 2018, 1183 Rn. 11, 19 – Wirbel um Bauschutt). Im Streitfall kommt die Archivierung und Vorhaltung veralteter Homepage-Versionen der Beklagten wirtschaftlich nicht zu- gute. Die Klägerin hat auch nicht dargetan, wie dies der Fall sein sollte. Außer ihrem Prozessbevollmächtigten, der gezielt auf der Suche nach einer (vermeintlichen) Verletzung des Unterlassungsgebots unter Nutzung seiner Fachkenntnisse die Wayback Machine im Netz aufgesucht und einen Stand der Homepage der Beklagten zeitlich vor der Unterlassungserklärung angesteu- ert hat, kommt, wie ausgeführt, kein Marktteilnehmer auf die Idee, im Internet an dieser Stelle nachzuforschen und das Aufgefundene noch dazu als aktuelle Werbung der Beklagten zu interpretieren.

b) Offenbleiben kann die von der Beklagten (unter Angabe mehrerer nicht einschlägiger Fundstellen) angesprochene Frage, ob eine Handlung im Wettbewerbsrecht – wie im Kennzeichenrecht – einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug („commercial effect“) haben und daher auch geeignet sein muss, die Interessen des Wettbewerbers spürbar zu beeinträchtigen, eine Frage, die im Übrigen auch der Bundesgerichtshof offengelassen hat (BGH, GRUR 2014, 601 Rn. 45 f. – englischsprachige Pressemitteilung). Mithin kommt es auch nicht darauf an, dass die Wayback Machine von einer Organisation mit Sitz in den USA sowie englischsprachig betrieben wird.

3. Ob das in der Homepage der Beklagten eingeblendete Testimonial des Rechtsanwalts (vgl. S. 4 der [Wider-]Klageschrift) gegen den Unterlassungsvertrag verstößt, muss das Gericht nicht entscheiden. Wollte man dies anders sehen, läge darin jedenfalls kein Verstoß.

a) Das Testimonial auf der Homepage der Beklagten, insb. die dortige Formulierung „Ich arbeite seit … mit…“ ist nicht streitgegenständlich.

aa) Maßgeblich für die Bestimmung des Streitgegenstands sind der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt sowie der Antrag, über den seitens des Gerichts zu entscheiden ist (sog. zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff; BGH, NJW 2016, 1818, 1821; stRspr).

bb) Der Antrag beschränkt sich hier auf die begehrte Vertragsstrafe und ist insofern nicht informativ für die Bestimmung des der Verwirkung der Vertragsstrafe zugrunde gelegten Lebenssachverhalts.

cc) Bezüglich des Lebenssachverhalts ist zunächst von den behaupteten Verstößen durch Nichtverhinderung der Auffindbarkeit in der Wayback Machine auszugehen (dazu bereits oben, 2.). Sodann leitet die Klägerin die Einblendung des Testimonials mit folgenden Worten ein: „Diesen Verstoß vorausgeschickt ist auch die Zielrichtung der Klägerin [jetzt: Beklagten] in der aktuellen Werbung von Bedeutung. So wird u.a. von Herrn Rechtsanwalt wie nachfolgend eingeblendet geworben: …“. Daraus wird ersichtlich, dass es der Klägerin nicht darum geht, hiermit einen eigenständigen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung zu rügen, sondern allgemein aufzuzeigen, dass die Beklagte sich nach wie vor einer längeren Unternehmenshistorie berühme. Dementsprechend fährt die Klägerin nach der Einblendung wie folgt fort: „Auch hier wird mit einer über fünfjährigen Tätigkeit am Markt geworben, obwohl das … Unternehmen [der Beklagten] erst am erstmals in das Handelsregister eingetragen worden ist. Der angesprochene Verkehr und potentielle Kunden interessieren sich anhand dieser Aussage folglich für die beworbene Unternehmenshistorie und werden daher auch zu dem … Unternehmen vor der Aufnahme einer vertraglichen Beziehung recherchieren. Dies dann u.a. anhand der Einträge zum … Unternehmen in der Wayback Machine, welche die streitgegenständliche zu unterlassende Werbung beinhalten.“ Die Klägerin will also argumentieren, dass aufgrund des Testimonials das Interesse der Marktteilnehmer an der Unternehmenshistorie geweckt werde, was dazu führe, dass die Marktteilnehmer sodann in Internetarchiven nach der Beklagten recherchierten und dort die „streitgegenständliche … Werbung“ auffänden. Ob dieses Argument lebensnah ist, sei dahingestellt.

Jedenfalls ist aufgrund des Kontexts offensichtlich, dass die Klägerin hierin keinen eigenständigen Verstoß sieht. Dementsprechend legt sie einen solchen auch nicht ihrer Bemessung der Vertragsstrafe zugrunde (vgl. S. 5 der [Wider-]Klageschrift).

b) Auf entsprechendes Bestreiten der Beklagten hin hat die Klägerin ihre Position in dieser Sache möglicherweise überdacht. Jedenfalls könnte ihr Vortrag in der Replikschrift vom 05.12.2022 (S. 3 unten) – im Zusammenhang der Bemessung der Vertragsstrafe – dahin verstanden werden, dass es „zu einem neuerlichen Rechtsverstoß“ gekommen sei. Vorsorglich ist daher festzuhalten, dass dies nicht zutrifft. Denn es liegt kein zur eingegangenen Unterlassungsverpflichtung kerngleicher Verstoß vor.

aa) Unterlassungsverträge sind nach den auch sonst für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen auszulegen. Maßgeblich ist danach der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB). Bei seiner Ermittlung sind Erklärungswortlaut, Art und Weise des Zustandekommens, Zweck der Vereinbarung, die Wettbewerbsbeziehung zwischen den Vertragsparteien sowie deren Interessenlage heranzuziehen (BGH, GRUR 1997, 931, 932 – Sekundenschnell; OLG Hamm, Urteil vom 16.12.2010 – 4 U 118/10, BeckRS 2011, 1572; stRspr). Ein vollständiger Rückgriff auf die Grundsätze, die für die Auslegung eines gerichtlichen Unterlassungstitels gelten, kommt nicht in Betracht, weil einem Unterlassungsvertrag der Charakter eines vollstreckbaren Titels fehlt (BGH, GRUR 1992, 61, 62 – Preisvergleichsliste). Aber auch unter eine vertragliche Unterlassungserklärung können nicht nur identische, sondern auch abgewandelte, aber denselben Kern und damit das Charakteristische enthaltende Handlungsformen gefasst werden. Im Hinblick auf gerichtliche Titel ist insofern anerkannt, dass, sofern der Titel das Charakteristische oder den „Kern“ der Verletzungsform zweifelsfrei zum Ausdruck bringt, nicht nur die mit der verbotenen konkreten Verletzungsform identischen, sondern auch abgewandelte, aber im Kern gleichartige (aber nicht bloß ähnliche) Handlungsformen erfasst werden (BGH, GRUR 2010, 253 Rn. 30 – Fischdosendeckel; BGH, GRUR 2010, 855 Rn. 17 – Folienrollos). Die Zugehörigkeit zum Verbotsbereich ist insbesondere dann anzunehmen, wenn neben der in Bezug genommenen konkreten Verletzungshandlung zur Beschreibung abstrakt formulierte Merkmale verwendet werden. Sie haben dann die Funktion, den Kreis der Varianten näher zu bestimmen, die von dem Verbot als kerngleiche Hand- lungen erfasst sein sollen (BGH, GRUR 2010, 855 Rn. 17 – Folienrollos; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 12 Rn. 5.4).

bb) Danach ist im Streitfall davon auszugehen, dass das (möglicherweise) gerügte Testimonial keinen Verstoß gegen die Unterlassungsvereinbarung darstellt.

(1) Zwar hat sich die Beklagte hier die Aussage eines Dritten zu eigen gemacht. Der Absatzförderungsbezug bei einem solchen Testimonial steht außer Frage (vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.04.2019 – 6 U 164/18, BeckRS 2019, 8044 Rn. 64).

(2) Sowohl jedoch nach der konkreten Verletzungsform (in die Erklärung eingeblendete damalige Werbung der Beklagten im Wortlaut) als auch nach der (geringfügig) allgemeineren Fassung in der von der Beklagten vorangestellten Einleitung („…im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit ‚12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing‘ zu werben, solange das Unternehmen der Unterlassungsschuldnerin weniger als 12 Jahre am Markt tätig war“) ist der Fall nicht erfasst, dass die Beklagte im Jahr 2022 damit wirbt, dass ein Kunde „seit 2017 mit

arbeite. Weder trifft hier der Zeitraum von 12 Jahren auch nur ansatzweise zu, noch wird mit einer entsprechenden „Erfahrung im Kanzleimarketing“ geworben, sondern ein Kunde (Rechtsanwalt) teilt lediglich mit, seit (umgerechnet) fünf Jahren mit der Beklagten zu arbeiten.

(3) Zudem ist bei der Auslegung der Unterlassungserklärung zu berücksichtigen, dass die Beklagte die von ihr selbst formulierte Erklärung gegenüber dem allgemeinen Hinweis der Klägerin in deren Anwaltsschreiben vom 17.03.2021 bewusst eingeschränkt hat. Während die Klägerin allgemein formuliert hatte, es werde „an mehreren Stellen im Internet mit jahrelanger Markterfahrung“ geworben, und die konkrete Formulierung nur als „Beispiel“ angeführt hatte, spricht die Unterlassungserklärung in konkreter und eingeschränkter Weise davon, es „zu unterlassen, … mit ‚12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing‘ zu werben, solange das Unternehmen der Unterlassungsschuldnerin weniger als 12 Jahre am Markt tätig war, wenn dies geschieht, wie…“. Eine Unterlassungserklärung umfasst kerngleiche Verstöße insbesondere dann nicht, wenn der Gläubiger eine abstrahierte Fassung der Unterwerfung verlangt und die abgegebene Erklärung dann bewusst und deutlich hinter dem Verlangen zurückbleibt (OLG Hamm, MMR 2009, 749; OLG Hamm, Urteil vom 16.12.2010 – 4 U 118/10, BeckRS 2011, 1572). Dann kann nämlich die erforderliche Auslegung ergeben, dass die Unterlassungsverpflichtung bewusst eng gehalten und nur auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt bleiben sollte (BGH, GRUR 2010, 749 Rn. 45 – Erinnerungswerbung im Internet). Das bedeutet im Streitfall, dass es nicht unter die Unterlassungsverpflichtung fällt, wenn die Beklagte mit einer Formulierung für ihr Unternehmen wirbt (sei es eine eigene oder eine zu eigen gemachte Formulierung), die lediglich in irgendeiner Weise auf den Zeitraum ihres Tätigwerdens am Markt Bezug nimmt, ohne entweder wörtlich oder sinngemäß „12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing“ zu behaupten.

Dass die Klägerin dies im Ergebnis genauso sieht und die Unterlassungserklärung ebenso verstanden hat, folgt schon daraus, dass sie in ihrer Klage den Sachverhalt des Testimonials gerade nicht zum Anlass genommen hat, von der Beklagten eine verwirkte Vertragsstrafe zu fordern oder auch nur ihre Bemessung der Vertragsstrafe daran zu orientieren. Sie hat vielmehr diesen Sachverhalt erst (möglicherweise) zum Streitgegenstand erhoben, nachdem sich die Beklagte in diesem Sinne gegen das klägerische Vorbringen gewehrt hatte.

4. Auf die von den Parteien aufgeworfenen Fragen der Höhe der Vertragsstrafe, des Rechtsmissbrauchs und der Verwirkung kommt es nach dem Vorgesagten nicht an.

5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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