OLG Köln, Urteil vom 19.11.1999, Az. 6 U 103/99
§ 242 BGB
Das OLG Köln hat entschieden, dass eine unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB vorliegt, wenn der Unterlassungsschuldner (welcher eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat) das streitgegenständliche Verhalten teilweise abändert und der Unterlassungsgläubiger – ohne darauf hinzuweisen, dass die Änderung nicht ausreicht – 2 1/2 Stunden nach Annahme der Unterlassungserklärung eine Vertragsstrafe fordert. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Köln
Urteil
…
Die Berufung des Klägers gegen das am 22.04.1999 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn – 12 O 7/99 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der vor dem Landgericht unterlegene Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 10.100,00 DM.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Anlässlich der Herbstmesse in R. brachte die Beklagte auf den beiden Schaufenstern ihres Geschäftslokals zwei große, ca. 1,5 x 1,8 m. große Aufkleber
MESSE
RABATT
20%
an. Hiervon erhielt der Kläger, ein rechtsfähiger Verein mit Sitz in K., zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, den lauteren Geschäftsverkehr zu fördern und den unlauteren Geschäftsverkehr im Zusammenwirken mit den Organen der Rechtspflege zu bekämpfen, am 06.11.1998 Kenntnis. Er nahm dies zum Anlass, die Beklagte wegen eines angeblichen Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 UWG und gegen die Vorschriften des Rabattgesetzes abzumahnen. In der Abmahnung vom 06.11.1998 heißt es unter anderem:
„Diese Ankündigung ist aus mehreren Gründen wettbewerbsrechtlich zu beanstanden.
Zum einen lässt sie erkennen, dass Sie in Ihrem Unternehmen zur Zeit eine Verkaufsveranstaltung außerhalb des normalen Geschäftsverkehrs durchführen, die gem. § 7 Abs. 1 UWG unzulässig ist. Die zuvor bezeichneten allgemein gehaltenen Werbeankündigungen müssen beim unbefangenen Leser den Eindruck erwecken, dass Sie nicht etwa einzelne Angebote zu besonders günstigen Preisen anbieten, sondern ganze Warengruppen in diese Aktion einbeziehen. Bei der rechtlichen Beurteilung Ihrer Werbeankündigung kommt es auch nicht darauf an, wie Sie Ihre eigene Werbung auszulegen wünschen, maßgebend ist allein, wie der unbefangene Leser Ihre Werbung versteht.
Zum anderen ist diese Werbemaßnahme wettbewerbswidrig und unzulässig, weil nach den Vorschriften des Rabattgesetzes Preisnachlässe und Rabatte in Höhe von mehr als 3% weder angekündigt noch gewährt werden dürfen (§§ 1, 2 Rabattgesetz). Jede über 3% hinausgehende Rabattgewährung ist daher wettbewerbswidrig und unzulässig mit der Rechtsfolge, dass Sie auf Schadenersatz und Unterlassung in Anspruch genommen werden können und sich darüber hinaus der Gefahr der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens ausgesetzt sehen müssen.“
Auf die von dem Geschäftsführer J. L. des Klägers unterzeichnete Abmahnung reagierte die Beklagte zunächst dadurch, dass sie den Hinweis „20%“ entfernte. Das geschah spätestens am 09.11.1998. Dagegen beließ sie es zunächst bei der Schaufensterankündigung „Messerabatt“. Unstreitig wusste der Bruder des Geschäftsführers des Klägers, dessen Wahrnehmungen vom 06.11.1998 dem Kläger Anlaß zur Abmahnung gegeben hatten, von dieser Änderung, als beim Kläger am 11.11.1998 die von ihm vorformulierte Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beklagten vom 10.11.1998 einging, mit der sich die Beklagte strafbewehrt verpflichtete, es künftig zu unterlassen, in der an den Endverbraucher gerichteten Werbung anzukündigen:
„MESSE
RABATT
X%“
und/oder den solchermaßen angekündigten Preisnachlaß zu gewähren.
Diese Unterlassungsverpflichtungserklärung nahm der Kläger mit Telefaxschreiben vom selben Tag um 12.35 Uhr an, um dann in der Folgezeit von der Beklagten Zahlung der versprochenen Vertragsstrafe in Höhe von 10.100,00 DM mit der Begründung zu verlangen, die beiden Aufkleber „Messe Rabatt“ seien, was man am 11.11.1998 gegen 15.00 Uhr festgestellt habe, auf den beiden Schaufenstern verblieben, deshalb sei die Vertragsstrafe verwirkt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, es fehle schon an einer objektiven Zuwiderhandlung der Beklagten gegen die übernommene Unterlassungsverpflichtung, deshalb komme es nicht darauf an, ob die Beklagte ein Verschulden treffe oder ob das Vorgehen des Klägers gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoße. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter gleichzeitiger Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 10.100,00 DM nebst 4% Zinsen seit dem 07.12.1998 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst sämtlichen Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Vielmehr hat das Landgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Nicht anzuschließen vermag sich der Senat allerdings dessen Auffassung, es fehle schon an einem objektiven Verstoß gegen die übernommene Unterlassungsverpflichtung. In Fällen der vorliegenden Art ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln, was Kern der Unterlassungsverpflichtung ist. Hierzu sind die Abmahnung und auch der Inhalt der (vorformulierten) Unterlassungsverpflichtungserklärung zu Rate zu ziehen. Danach hat der Kläger von der Beklagten verlangt, eine Werbung zu unterlassen, mit der etwas anderes als ein dreiprozentiger Barzahlungsnachlass angeboten wird. Die Beklagte hat sich dieser Forderung folgend zur Unterlassung verpflichtet, indem sie versprochen hat, es künftig zu unterlassen, in der an den Endverbraucher gerichteten Werbung anzukündigen „Messe Rabatt X%“ und/oder den solchermaßen angekündigten Preisnachlass zu gewähren. Ist Inhalt der Verpflichtungserklärung demgemäß, die Ankündigung eines Messerabattes zu unterlassen, namentlich dann, wenn dieser Rabatt mehr als 3% beträgt, handelt es sich nach Auffassung des Senats unzweifelhaft um einen objektiven Verstoß gegen die übernommene Unterlassungsverpflichtung, wenn – wie geschehen – die Beklagte lediglich die Prozentzahl entfernt, die beiden Aufkleber „Messerabatt“ aber auf den Schaufenstern beläßt. Denn aus der maßgeblichen Sicht des angesprochenen Verkehrs hat die Beklagte auch durch die ersatzlose Streichung der Ankündigung „20%“ weiterhin einen Rabatt angekündigt, den zu gewähren sie – so versteht das angesprochene Publikum die Offerte – nicht aufgrund einer Barzahlung, sondern eines bestimmten Ereignisses, hier der R.er Messe, verspricht. Jedenfalls ein beachtlicher Teil des angesprochenen Verkehrs wird, was die Mitglieder des Senats als Teil der von der Werbung der Beklagten potentiell angesprochenen Verbraucher aus eigener Sachkunde und Erfahrung beurteilen können, aufgrund der konkreten werblichen Ankündigung der Beklagten (weiterhin) glauben, ggf. erhalte er im Geschäftslokal der Beklagten aus Anlass der in R. stattfindenden Messe mehr als 3% Rabatt auf die jeweilige Kaufsumme.
Letztlich kann die Frage nach dem Vorliegen eines objektiven Verstoßes gegen die übernommene Unterlassungsverpflichtung jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage nach dem für die Verwirkung der Vertragsstrafe notwendigen Verschulden. Der Kläger könnte nämlich aufgrund der Besonderheiten des Streitfalles selbst dann nicht Zahlung der versprochenen Vertragsstrafe verlangen, wenn das Belassen der Aufkleber auf den Schaufenstern ohne Prozentangabe in objektiver wie subjektiver Hinsicht einen Verstoß gegen die übernommene Unterlassungsverpflichtung darstellen sollte. Das hat seinen Grund darin, dass sich das Vertragsstrafeverlangen des Klägers unter den hier obwaltenden Umständen als Verstoß gegen Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB erweist.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass als Folge einer vom Abgemahnten tatsächlich begangenen oder von ihm zu vertretenden Verletzungshandlung und der anschließend erklärten Abmahnung zwischen dem Verletzter und dem Abmahnenden eine wettbewerbsrechtliche Sonderbeziehung eigener Art zustandekommt, die in besonderem Maße durch Treu und Glauben und das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme bestimmt wird und die dazu geeignet ist, Rechtspflichten zu begründen. So ist der abgemahnte Störer zum Beispiel verpflichtet, den Abmahnenden zur Vermeidung eines überflüssigen Rechtsstreits zutreffend und innerhalb angemessener Frist über eine wegen derselben Verletzungshandlung gegenüber einem Dritten abgegebene Unterwerfungserklärung aufzuklären (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BGH GRUR 1987, 641 – „Wiederholte Unterwerfung II“ -; BGH GRUR 1990, 381 – „Ant- wortpflicht des Abgemahnten“ -; BGH GRUR 1995, 167 – „Kosten bei unbegründeter Abmahnung“ -). Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass der offensichtlich durch den Bruder seines Geschäftsführers stets gut informierte Kläger bereits vor Eingang der Unterwerfungserklärung und vor ihrer Annahme wusste, dass die Beklagte auf die Abmahnung reagiert hatte und die mit ihr beanstandeten Aufkleber durch das Entfernen der Prozentangabe „20%“ geändert hatte. Damit musste der Kläger davon ausgehen, dass die Beklagte – wenn auch irrig – angenommen hatte, die vor Abgabe der Unterlassungsverpflichtungserklärung geänderte Plakatierung werde von ihrer Unterwerfungserklärung nicht erfasst. Bei dieser Sachlage stellt es einen Verstoß des Klägers gegen das durch die Abmahnung zwischen den Parteien begründete Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme dar, von der Beklagten etwa 2 1/2 Stunden nach Annahme der Unterlassungsverpflichtungserklärung Zahlung der vereinbarten Vertragsstrafe mit der Begründung zu verlangen, die dem Kläger schon bei Annahme der Unterlassungsverpflichtungserklärung bekannte Entfernung der Angabe „20%“ unter den Aufklebern „Messerabatt“ reiche nicht aus, um den Kernbereich der zur Unterlassung versprochenen Handlung zu verlassen. Durch das sofortige Einfordern der mit der Abmahnung verlangten Vertragsstrafe hat der Kläger, was der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung bereits ausführlich mit den Parteien erörtert hat, in Kenntnis aller Umstände und in rechtlich zu missbilligender Weise einen offensichtlichen Irrtum der Beklagten über die Reichweite ihrer Erklärung ausgenutzt, statt sie, wie es seine Pflicht gewesen wäre, zunächst über ihren Irrtum aufzuklären, ihr Gelegenheit zur Abhilfe zu geben und auf diese Art und Weise den lauteren Geschäftsverkehr ohne die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu fördern.
Der Inhalt des nachgelassenen Schriftsatzes des Klägers vom 08.11.1999 gibt dem Senat keinen Anlaß, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Soweit darin die Kenntnisnahme des Klägers von den am 09.11.1998 erfolgten Wahrnehmungen des Bruders seines Geschäftsführers vor dem 11.11.1998 und damit vor der Zahlungsaufforderung mit der Begründung in Zweifel gezogen wird, der Zeitpunkt der Kenntnisnahme könne heute nicht mehr festgestellt werden, liegt darin schon kein substantiiertes Bestreiten. Im übrigen hat der Bruder des Geschäftsführers des Klägers in einem weiteren, gegen die Beklagte im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Aufklebern eingeleiteten Gerichtsverfahren zur Glaubhaftmachung des dortigen Sachvortrags des Klägers bereits am 10.11.1998 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der er über seine Wahrnehmungen vom 09.11.1998 berichtet. Daraus folgt, dass der Kläger am 11.11.1998 bereits von den vorgenommenen Veränderungen an den Schaufensteraufklebern wusste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Wert der Beschwer des Klägers: 10.100,00 DM
Auf die Entscheidung hingewiesen hat openJur (hier).