LG Berlin: Händler haftet nicht für Urheberrechtsverstöße des Verlags

veröffentlicht am 5. Januar 2009

LG Berlin, Urteil vom 14.11.2008, Az. 15 O 120/08
§§ 17 Abs. 1, 97 Abs. 1 UrhG

Vertreibt ein Buchhändler ein Werk, welches gegen fremde Urheberrechte verstößt, so handelt der Buchhändler nicht, wie es das Urheberrechtsgesetz voraussetzt, als Täter, sondern lediglich als wissensloses Werkzeug des in eigener Verantwortung handelnden Verlags. Damit haftet der Buchhändler durch das Anbieten des fraglichen Buches auch nicht ohne weiteres als Störer für eine Urheberrechtsverletzung. Anmerkung: Ähnlich entschieden haben auch LG Düsseldorf und LG Hamburg.

Landgericht Berlin

Urteil

In dem Rechtsstreit

gegen

hat die Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 14.11.2008 durch … für Recht erkannt

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Verfasserin einer Magisterarbeit mit dem Titel … welche sie in Rahmen eines Studiums im Fach Amerikanistik am 21.11.2003 der Humboldt Universität zu Berlin eingereicht hat.

Der Beklagte betreibt einen Buchhandel und bot am 07.12.2007 über seine Internetseite … das im Jahre 2004 erschienene Buch der Autorin … mit dem Titel … zum Verkauf an.

Dieses Buch enthält u.a. die im Klageantrag bezeichneten Passagen, die der Magisterarbeit der Klägerin entnommen worden sind. Die Magisterarbeit war der Autorin des Buches … bekannt, da die Klägerin ihr auf deren Bitte hin im Februar 2004 ein Exemplar übersandt hatte.

Die Klägerin sieht in der Übernahme der Textpassagen eine Urheberrechtsverletzung und nimmt den Beklagten auf Unteriassung der Verbreitung des Buches in Anspruch.

Mit Anwaltsschreiben vom 12.12.2007 ließ die Klägerin den Beklagten abmahnen und zur Abgabe einer straf bewehrten Unterlassungserklärung auffordern. Mit Antwortschreiben vom 13.12.2007 gab der Beklagte eine modifizierte Unterlassungserklärung ab (vgl. K10). die nach Auffassung der Klägerin die Wiederholungsgefahr nicht beseitigt hat.

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob der Beklagte als Buchhändler für eine Urheberrechtsverletzung in einem von ihm angebotenen Buch gem. den §§ 17 Abs. 1, 97 Abs. 1 UrhG als Täter auf Unterlassung der Verbreitung in Anspruch genommen werden kann. Die Klägerin meint, der Beklagte habe alle Tatbestandsmerkmaie des § 17 Abs. 1 UrhG selbst verwirklicht und hafte deshalb ohne weiteres auf Unterlassung. Insbesondere komme es auf die Verletzung einer Prüfungspflicht nicht an. Die Stellung des Beklagten als Täter ergebe sich insbesondere daraus, dass dieser das Buch in seinen eigenen in Rubriken gegliederten Katalog eingepflegt, für das Buch eine Bestellnummer vergeben und außerhalb der Buchpreisbindung einen eigenen Preis festgelegt habe. Der Beklagte sei kein Vollsortimenter, der auf Bestellung jedes beliebige Buch liefern würde.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, das Buch … zu verbreiten, solange darin die folgenden Passagen enthalten sind;

Seite 200 Abs. 6:

»The transformation of Hollywood in the 60s is an essential part of ist mythical quality reflected in Hollywood Babylon, as Hollywood’s crisis served to intensify the myth and nostalgia for it at the height of its glamor«

Seite 202 Abs. 2:

»… – a sense of reaching for objects on the verge of disappearance or to the mutuability of the values onwhich their image is based. Hollywood Babylon revealed the fatal, blind cultish following of star role modeis as weil as the proxirnity of glamor and death, reflected in the lives ofthe stars themselves, which Hollywood produces only laterto destroy …

The iconic value that stars acquire is inherently linked to their disappearance.

… irony .and nostaigia in Scorpio Rising manifests a consciousness of the artificial construction of the star’s image, mimicking such cult foilowing by Scorpio’s sycophantic surrender of individual identity.«

Seite 248, 9.10:

»… that the technical crudity of many Underground films was an almost paranoid rejection of commercia! Hollywood film-making, which has perfected the technjcal form of film to the point of invisibiiity for the spectator. For Tyler, Underground fiim’s expression of dissent often ied to inhibiting the resourceful ianguage of film, resulting in the production of work of little aesthetic value.«

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, eine Täterhaftung komme mangels Tatherrschaft nicht in Betracht, weil ein Buchhändler lediglich als technisches Verbreitungsinstrument des Verlages tätig werde. Ein Unterlassungsanspruch sei nur unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung denkbar, wenn der Buchhändler Prüfungspflichten verletzt habe. Das sei vorliegend aber nicht der Fall.

Für die weiteren Einzelheiten des Partei Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

I.
Der auf die §§ 17 Abs. 1, 97 Abs. 1 UrhG gestützte Unterlassungsanspruch steht der Kläger gegen den Beklagten nicht zu.

1.
Der Beklagte ist kein Täter einer Urheberrechtsverletzung in Form einer rechtswidrigen Verbreitung gem. § 17 Abs. 1 UrhG. Zwar hat der Beklagte über seine Internetseite »[…]« das im Jahre 2004 erschienene Buch der Autorin … mit dem Titel … zum Verkauf angeboten. Dem Beklagte fehlt als Buchhändler jedoch die für eine täterschaftliche Urheberrechtsverletzung erforderliche Tatherrschaft. Der Beklagte ist hinsichtlich der streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzung – der Verbreitung des Werks der Klägerin im Sinne des § 17 UrhG – lediglich als Werkzeug des eigenverantwortlich handelnden Verlages tätig geworden. Ein Buchhändler nimmt keinerlei Einfluss auf den Inhalt eines Buches, so dass ihm eine darin enthaltene Urheberrechtsverletzung im Regelfall nicht als Täter zugerechnet werden kann.

a)
Diese Frage ist von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der Unterlassungshaftung eines Presseverlages für eine Urheberrechts Verletzung in einer Werbeanzeige eines Inserenten im vorgenannten Sinne entschieden worden, Mangels eigener Verantwortlichkeit sei ein Presseverlag für den Anzeigeninhalt grundsätzlich nicht als Täter auf Unterlassung haftbar (BGH NJW 1999, 1960 – Möbelklassiker; KG ZUM-RD 2005, 127). Das Selbe gelte hinsichtlich der Haftung eines Presse-Großhändlers für persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte einer von ihm vertriebenen Zeitschrift (OLG Frankfurt ZUM-RD2008. 128).

b)
Für eine davon abweichende Bewertung des Buchhandelsvertriebs besteht keinerlei Veranlassung. Die Interessenlagen sind identisch. Ebenso wie dort ist hier der Beklagte als Buchhändler in die Vertriebskette des die Rechtsverletzung enthaltenen Buches integriert. Als am Vertrieb Mitwirkender wird er von der Klägerin auf Unterlassung in Anspruch genommen. Der Einfluss eines Buchhändlers auf die Rechtmäßigkeit der Inhalte der von ihm angebotenen Bücher ist noch geringer als der Einfluss eines Presseverlages auf die Inhalte der von ihm veröffentlichen Werbeanzeigen. Hinsichtlich der Buchinhalte fehlt dem Buchhändler regelmäßig die für eine Tatherrschaft notwendige Steuerungs- und Kontrollmöglichkeit. Ein Buchhändler nimmt auch keine eigenen urheberrechtlichen Verwertungsrechte war.

c)
Zwar weist der vorliegende Fall Besonderheiten auf, weil der Beklagte kein sog. Vollsortimenter ist, sondern das Buch in seinen eigenen in Rubriken gegliederten Katalog eingepflegt, eine Bestellnummer vergeben, außerhalb der Buchpreisbindung einen eigenen Preis festgelegt hat und sich selbst als spezialisierter Fachbuchhändler bezeichnet hat.

Diese Besonderheiten rechtfertigen jedoch keine abweichende Beurteilung.

Die objektive Verwirklichung des Verbreitungstatbestandes genügt für sich allein noch nicht, um Täter einer Urheberrechtsverletzung zu sein, Hinzukommen muss eine objektive Tatherrschaft und/oder ein Täterwille, welche sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergeben. Die Qualifikation eines an der Tatbestandsverwirklichung Mitwirkenden entweder ais Täter oder als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) oder lediglich als Störer ist ein normativer Bewertungsvorgang.

Ein Buchhändler, auch wenn er kein Vollsortimenter ist, sondern sich thematisch spezialisiert und nur bestimmte Bücher in sein Angebot übernommen hat, besitzt bei der Vielzahl der angebotenen Bücher in der Regel keine Möglichkeit der Prüfung von Urheberrechtsverletzungen Anders als für den Verleger bzw. Herausgeber eines Buches ist es für einen Buchhändler praktisch unmöglich und würde eine Überspannung .der ihn treffenden Verkehrs- oder Prüfungspflichten darstellen, jedes Buch auch nur zu lesen. Damit fehlt bereits die objektive Verhinderungsmöglichkeit und damit die Tatherrschaft. Nur wenn diese gegeben wäre, würde sich die weitere Frage nach der subjektiven Verhinderungsmöglichkeit bzw. subjektiven Vorwerfbarkeit der Tatbestandsverwirklichung stellen, d.h. nach dem Verschulden, das für einen Schadensersatzanspruch erforderlich ist. Fehlt hingegen schon die objektive Vorwerfbarkeit bzw. Verhinderungsmöglichkeit, dann fehlt die Täterqualifikation des Mitwirkenden.

Ein Täterwille ist bei dem Beklagten ebenfalls nicht vorhanden. Daran ändert auch die thematische Auswahl und Wiedergabe bestimmter äußerlicher Buchdaten nichts. Dies lässt insbesondere nicht den Schluss zu, dass der Beklagte das Buch gelesen hat und dessen Verbreitung als Träger eines bestimmten Werkinhalts in verantwortlicher Weise möchte. Auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Klägerin müsste der Beklagte, um dem Vorwurf einer täterschaftlichen Urheberrechtsverletzung entgehen zu können, seinen Buchhandel praktisch einstellen. So weit gehen die einen Buchhändler treffenden Verkehrs pflichten nicht.

Durch diese Bewertung ist die Klägerin keineswegs schutzlos gestellt oder auch nur in nennenswerter Weise in ihren Rechtsverfolgungsmöglichkeiten beschränkt. Denn den Beklagten trifft unabhängig davon eine Störerhaftung, sofern er Prüfungspflichten verletzt. Diese setzen allerdings erst dann ein, wenn ihm hinreichend konkrete Anhaltspunkte zur Kenntnis gelangen, die den Schluss auf eine – deutlich erkennbare – Urheberrechtsverletzung nahe legen. Dafür könnte die Klägerin, als Verletzte ohne weiteres selbst sorgen, z.B. in dem sie in der einschlägigen Fachpresse, die zu verfolgen ein Buchhändler gehalten ist, entsprechende Informationen veröffentlicht.

2.
Der Beklagte haftet ferner nicht als Gehilfe für eine rechtswidrige Verbreitung des streitgegenständlichen Buches der Autorin … Ihm fehlte – bis zum Zugang der Abmahnung vom 12.12.2007 – der dafür notwendige Teilnahmevorsatz. Eine fahrlässige Beihilfe – so eine solche hier vorliegen würde – kennt das Gesetz nicht (Dreier/Schulze, UrhG § 97 Rn 23). Erforderlich ist mindestens ein bedingter Vorsatz hinsichtlich der Haupttat und der eigenen Unterstützungshandlung, der das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einschließen muss (KG ZUM-RD2005, 127 ff. rn.w.N.).

3.
Schließlich greift auch eine Störerhaftung des Beklagten im vorliegenden Fall nicht durch.

Als Störer haftet derjenige auf Unterlassung, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt (BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung I). Weil die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers die objektive Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH, Urt. v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, GRUR 1997, 313, 315 f. – WRP 1997, 325 – Architektenwettbewerb: Urt. v. 15.10.1998-1 ZR 120/96, GRUR 1999, 418, 419 f. = WRP 1999, 211 – Möbelklassiker; BGHZ 148, 13, 17f. – ambiente.de; BGHZ 158, 236, 251 – Internet-Versteigerung l; BGHZ 172, 119-136 – Internet-Versteigerung II).

Derartige Prüfungspflichten hat der Beklagte vorliegend nicht verletzt. Bis zum Zugang der Abmahnung am 12.12.2007 bestand für ihn keine Veranlassung, die Möglichkeit einer Urheberrechtsverletzung in dem streitgegenständlichen Buch der Autorin … in. Betracht zu ziehen. Ohne entsprechende Anhaltspunkte für das Vorliegen eine Urheberrechts Verletzung konnte der Beklagte eine selche nicht Erfolg versprechend prüfen, weil die Magisterarbeit der Klägerin nicht veröffentlicht worden ist. Auch im Allgemeinen ist ein Buchhändler ohne Anlass nicht gehalten, erschienene Bücher auf Rechtsverletzungen hin zu überprüfen. Eine solche Prüfungspflicht würde bei der großen Anzahl angebotener Büchern und einer nicht bezifferbaren Anzahl an möglichen Rechtsverletzungen die praktischen Möglichkeiten eines Buchhändlers deutlich überspannen. Eine Prüfungspflicht setzt erst dann ein, wenn greifbare und konkrete Anhaltspunkte entweder dem jeweiligen Buchhändler durch einen Hinweis übermittelt werden oder in der einschlägigen Branchenpresse, deren Verfolgung dem Buchhändler zumutbar ist, veröffentlicht werden. Solche Hinweise wurden infolge der Abmahntätigkeit der Klägerin erst im Januar 2008 in der Branchenpresse bekannt, d.h. zu einem Zeitpunkt, ais die Klägerin den Beklagten bereits selbst abgemahnt hatte. Vor diesem Zeitpunkt war der Beklagte auch nicht gehalten bezogen auf das von ihm angebotene Buch der Autorin … im Internet allgemein nach Hinweisen auf eine mögliche Urheberrechtsverletzung zu fahnden. Der Beklagte war lediglich gehalten die einschlägige Fachpresse zu verfolgen, in der jedoch vor der Abmahnung keine konkreten Hinweise zu finden waren.

4.
Nach Zugang der Abmahnung bei dem Beklagten waren für diesen zwar Anhaltspunkte für einen Urheberrechtsverstoß gegeben. Der Beklagte hat jedoch unverzüglich den weiteren Vertrieb des Buches eingestellt. Damit lag zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung, mangels Rechtsverletzung des Beklagten nicht nur keine Wiederholungsgefahr, sondern auch keine Erstbegehungsgefahr vor, Aus der vom Beklagten abgegebenen Unterlassungserklärung lassen sich keine Anhaltspunkte für eine künftig ernsthaft drohende Verletzungshandlung des Beklagten herleiten.

II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1 und 709 ZPO.

I